Max Weber und die jüdische Ethik
Die Beziehung zwischen politischer Philosophie und Interpretation der jüdischen Kultur
Michael Spöttel
Max Weber hat den Einfluß der jüdischen Kultur auf die Genese der okzidentalen Zivilisation ausführlich untersucht. Seine Hypothese: Das Abendland hat sich von seinen jüdischen Wurzeln so weit emanzipiert, daß das Verhältnis zwischen Judentum und «idealtypischem» Okzident antagonistisch ist. Der spezifisch freiheitliche Charakter der abendländischen Zivilisation basiert nach Webers Überzeugung auf einer weitgehenden Überwindung der jüdischen «Pariavolksethik». Mit dieser Deutung konterkariert Weber den zeitgenössischen – zumeist antisemitischen – Topos, der die Juden als die Begründer Träger der westlichen Zivilisation identifiziert. Doch deuten die politischen Diagnosen, die Weber im Kielwasser des Ersten Weltkrieges entwarf, darauf hin, daß er annahm, die jüdische Mentalität sei nicht mit den Interessen der deutschen Nation in Einklang zu bringen.