Glaube und Rationalität in der Krise von Frank,  Björn

Glaube und Rationalität in der Krise

Symposium zu Ehren von Hans G. Nutzinger

Aus dem Vorwort von Prof. Björn Frank
„Die wissenschaftliche Breite Hans Nutzingers zeigt sich auch in der Lehre, wo praktisch jeder der verbleibenden Kasseler Kollegen sein Nachfolger wurde – der eine übernimmt die Optimierungstheorie, der andere die Theorie öffentlicher Unternehmen, der nächste die Institutionenökonomik, ein anderer die Industrieökonomik und Mikroökonomik, ein weiterer die Makroökonomik und noch einer die Wirtschaftspolitik. Und fast alle von uns diskutieren dabei Probleme, denen Hans Nutzinger auch schon mal eine ganze Lehrveranstaltung gewidmet hatte: „Das Menschenbild in der Ökonomie“ – wir modellieren ja das menschliche Verhalten, und wir glauben, dass die Annahme der Rationalität dabei hilfreich ist: „All models are false, but some are useful“ (Mayer, 1999).
Das zeigt sich auch in den Beiträgen in diesem Band. Zwar wird an keiner Stelle das karikaturenhafte Bild des Homo Oeconomicus als grotesk umfassend informiertem und übernatürlich nüchtern und präzise kalkulierendem Akteur verwendet oder impliziert. Als rational darf aber schon gelten, wer so gut wie möglich versucht, seine Ziele, welche auch immer das sein mögen, zu erreichen (Hey, 1993). Das reicht, um uns den Weg zur übermäßig bequemen Krisenerklärung zu verstellen, nach der Banker und Finanzminister Moronen sind, die vor Gier nicht einmal gerade gucken können und unsere Probleme durch fehlende Moral verursacht hätten. Nein, es waren einigermaßen vorausschauende Akteure, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt konstruiert haben, weil die Anreize für die nationalen Regierungen von EU-Staaten, sich übermäßig zu verschulden, erkannt wurden. Aber es hat nicht gereicht; der Mechanismus funktioniert nicht gut genug. Thomas Eger zeigt in seinem Beitrag, dass es eine einfache Lösung nicht gibt, weil verschiedene Ziele miteinander konkurrieren: Einerseits muss es Anreize für eine nachhaltige Finanzpolitik geben, andererseits müssen die EU-Staaten einander bei Bedarf eben doch solidarisch beistehen. Aus der Schwierigkeit dieser Abwägung folgt nun aber nicht, dass keine definitiven Aussagen möglich sind.
Hans-Jürgen Wagener zeigt, dass die Idee der Solidarität überstrapaziert wird, wenn Exportüberschüsse von Ländern wie Deutschland als Ursache ökonomischer Probleme in anderen EU-Ländern ausgemacht werden, und wenn Deutschland aufgefordert wird, diese vermeintliche Ursache abzustellen. Ein weiteres scheinbar unbestreitbares Gebot der Solidarität, in diesem Fall der intergenerationellen, wird in diesem Band von einer grundlegenden ökonomischen Analyse zerbröselt, nämlich die Forderung, die Staatsschulden auf Null zu reduzieren. Dies hätte, wie Carl Christian von Weizsäcker in einem wachstumstheoretischen Modell zeigt, Wachstumseffekte, für die mit dem Dank künftiger Generationen nicht zu rechnen ist.
So weit widmen sich die bisher beschriebenen Beiträge der normativen Analyse – sie fragen, was in der aktuellen Krise gute Wirtschaftspolitik ist, wobei rationale Reaktionen von ökonomisch relevanten Akteuren wie Kapitalanlegern eine wichtige Rahmenbedingung sind. In der positiven Analyse der Politik wird gefragt, warum die Politik so ist, wie sie ist, werden die Interessen und Einflussmöglichkeiten der Akteure in der Politik selbst rekonstruiert, und zwar ebenfalls als rationales Handeln. Die Analyse der Umweltpolitik von Andrea Kollmann und Friedrich Schneider ist ein Musterbeispiel dieses Forschungsansatzes. Es ist unbestritten, dass Effizienz nur mit marktbasierten Instrumenten, d.h. solchen, die Anreize zur Schonung von Umweltressourcen durch Preissignale schaffen, zu erreichen ist, nicht aber mit einer Umweltpolitik durch bloße Verhaltens- oder Technologievorschriften. Im politischen Prozess setzt sich aber nicht notwendigerweise die effiziente Lösung durch, sondern diejenige, die den relevanten Akteuren Vorteile verspricht; Kollmann und Schneider zeigen, welche Akteure und welche Vorteile das jeweils sind, und sie zeigen, wieso für einzelne Mitglieder unterschiedlicher Interessengruppen unterschiedlich viel auf dem Spiel steht, so dass asymmetrische Durchsetzungskraft im politischen Prozess letztlich wieder Ergebnis rationalen Handelns ist.
Aber der Glaube an die Nützlichkeit der Rationalität als Modellannahme ist kein Weltbild. Neue Entwicklungen in der Verhaltensökonomik werden in bestehende Modelle einzubauen versucht, sofern das hilfreich erscheint. Oder „wenn es der Wahrheitsfindung dient“, wie Fritz Teufel sagte, was uns zum Thema Religion bringt, wo das Verhältnis von Glaube zu Empirie doch ein besonderes ist.
Das wissenschaftliche Weltbild hat sich durchgesetzt, wo es in Konkurrenz zur Religion stand; es hat ihr „historisch identifizierbare Heilsereignisse“ genommen, wie Hans Albert argumentiert, und es hat zu einer Immunisierungsstrategie geführt: Zur „reinen Religion“, die nichts mehr behauptet, was in Konflikt mit den Erkenntnissen moderner (Natur-)Wissenschaft geraten könnte. Aber das, was dann von der Religion bleibt, ist nach Auffassung Alberts weder zu etwas nütze noch intellektuell überzeugend. Dagegen ist für Mathias Erlei Religion etwas, das gerade der Anpassung an das wissenschaftliche Weltbild bedarf. (Nur) so ist Religion als mentales Modell akzeptabel und erfüllt die Aufgabe, ein „Grundbedürfnis der Menschen nach Sinn“ zu befriedigen.

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