Die Fülle des ewigen Evangeliums
Das mormonische Offenbarungsverständnis vor dem Hintergrund der christlichen Auseinandersetzung mit dem Islam
Thomas Schnelzer
Sowohl das Mormonentum als auch der Islam legen auf eindrückliche Weise Zeugnis dafür ab, dass es entgegen den Vorhersagen der Religionskritiker und der „Propheten“ der Aufklärung und des Säkularismus keineswegs zu einem Verschwinden des Religiösen gekommen ist. Vielmehr zeigt deren zunehmende Ausbreitung, dass sich die Religionen auf eindrückliche Weise zurückgemeldet haben. Demgegenüber möchte diese Studie deutlich machen, dass die theologische Ungleichbehandlung von Islam und Mormonismus aufgrund von deren strukturähnlichem Offenbarungsverständnis aus religionsgeschichtlicher Sicht inkonsequent und unsachgemäß ist: Beide Religionen formulieren ihre Wahrheitsansprüche in der Weise, dass sie diese zur jüdisch-christlichen Tradition in Beziehung setzen, indem sie einerseits an diese anknüpfen, sich zugleich aber von ihr abgrenzen möchten; beide tun dies in der Weise, dass sie über die Behauptung, dass sie deren verfälschte Wahrheit wiederherstellen, mittels eines neuen Propheten ein neues heiliges Buch und dadurch neue Offenbarungsinhalte einführen. Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Religionen besteht freilich darin, dass sich der Islam von zentralen Inhalten des christlichen Glaubens sehr viel weiter entfernt hat als das Mormonentum. Zwar hat auch dieses, zumal in der Gottesfrage, für die christlichen Großkirchen unannehmbare Lehren entwickelt, doch sind diese aufgrund seines flexiblen Offenbarungsverständnisses revidierbar bzw. z. T. bereits revidiert, so dass eine Annäherung an die großkirchliche Theologie möglich ist. Dieser Weg ist dem Islam jedoch aufgrund der von ihm behaupteten Verbalinspiration des Koran verschlossen. Auf diesem Hintergrund bietet das Buch zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Offenbarungsverständnis des Islam wie sie heutzutage kaum noch gewagt wird.