Einfluss des elastisch-plastischen Werkstoffverhaltens auf das Fertigungsergebnis beim niederhalterlosen Tiefziehen
Hans Igel, Reimund Neugebauer
Zum Verfahren „Niederhalterloses Tiefziehen“ sind die technologischen Grenzen (Faltenbildung, Bodenreißer) für die Herstellung von rotationssymmetrischen, napfförmigen Werkstücken mit ebenem Boden aus vorwiegend Stahlwerkstoffen bestimmter Güte durch Untersuchungen belegt.
ln Erweiterung der Anwendbarkeit dieses Verfahrens für besagte Werkstücke, jedoch mit gewölbtem Boden, wurden die technologischen Grenzen theoretisch und experimentell ermittelt.
Aufbauend auf den Stand der Erkenntnisse wurden zur Erreichung umfassender Ergebnisse die Versuchswerkzeuge sowie das Vesuchsprogramm unter Beachtung der beeinflussenden Größen, wie
Stempelgeometrie und seine maßliehen Abstufungen
Ziehringgeometrie (konischer Einlauf 2α =90°, Traktrixeinlauf)
Werkstoffe
konzipiert.
Beim niederhalterlosen Tiefziehen stellt sich in der Anfangsphase des Umformvorganges als mögliche Versagensart Beulen- bzw. Faltenbildung ein. Entsprechend den experimentellen Untersuchungen ergab sich im Grenzbereich bei Anwendung des konischen Ziehringeinlaufes eine Beulenbildung und bei Anwendung des Traktrixeinlaufes eine auf den Umfang gleichmäßig verteilte Faltenbildung 1. Art. Diese verschiedenen Versagensformen sind in den Stützverhältnissen, Zargenrand – Ziehringeinlauf, begründet. Weiterhin wurden bei den Versuchen mit verschiedenen Werkstoffen sowie Werkstoffgüten im Verfahrensgrenzbereich bis hin zur Versagensgrenze unterschiedliche Formänderungswerte festgestellt, d.h. der Versagensfall trat bei unterschiedlich großen Ziehtiefen ein. Die dazu vergleichenden Betrachtungen der zu den jeweiligen Werkstoffen gehörenden Fließkurven ergaben, daß die angeführten Versagensfälle kurz nach den jeweiligen Dehngrenzen angesiedelt sind.
Die Spreizung der Fließkurven ergab in doppeltlogarithmischer Darstellung je zwei Geraden mit unterschiedlicher Steigung, die miteinander im Formänderungsintervall 0,01 < ϕ ≤ 0,02 einen Kurvenknick bildeten. Die zum jeweiligen Kurvenknick gehörende Formänderung ϕ ist mit der Formänderung des jeweiligen Versagensfalles im Verfahrensgrenzbereich identisch. Diese Formänderung im Kurvenknick wurde als Übergangsformänderung ϕ0 definiert. Sie charakterisiert das elastisch-plastische Verhalten des Werkstoffes. Auf dieser Grundlage sowie experimentellen Untersuchungen wurden in den voneinander abhängigen Werkstoff-, Werkstück- und Werkzeugkennwerten für rotationssymmetrische, napfförmige Werkstücke mit Bodenwölbung R in den Bereichen d/2 ≤ R → ∞und 0,01 < ϕ ≤ 0,02 Gleichungen und Diagramme zur Bestimmung der erreichbaren Tiefziehverhältnisse entwickelt. Ergänzend entstand eine anwenderorientierte Richtlinie mit allen Grenzbereichen, bezogen auf die vorkommenden Versagensarten, für den Referenzwerkstoff St1403. Weiterhin wurde für ein konkretes Produktionsteil die Herstellung breiter Flansche und deren Umformverhalten untersucht. Dabei handelt es sich um die knickfreie Umformung des zur Werkstückachse schräg gestellten vorgeformten, in den zur Werkstückachse rechtwinklig gestellten Flansches. Es wurden zur Optimierung des Werkzeug - Werkstück - Stützpunktes für den Knickfall Berechnungsmodelle entwickelt und die allgemeinen Berechnungsbeziehungen für die Umformkraft sowie Knickkraft abgeleitet. Die insgesamt theoretisch gewonnenen Erkenntnisse konnten durch die experimentell erreichten Ergebnisse bestätigt werden. Damit liegen Entscheidungsgrundlagen vor, die es insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, das kostengünstige Verfahren "Niederhalterloses Tiefziehen" sicher als Fertigungsvariante in die technologische Vorbereitung mit einzubeziehen.