Die Maske von Kasnitz,  Adrian

Die Maske

und zwei weitere Geschichten

»Ganz schlichte, einfache, unspektakuläre Realität, die sich im (zwischen)menschlichen Dasein vollzieht, kennen wir alle. Da geschehen Geschichten, die sind des Erzählens nicht wert. Vielleicht ruft dieses Erlebnis leichtes Staunen, jene Begebenheit eine minimale Gesichtsregung hervor – ein kaum merkliches Mundzucken, ein verächtliches Augenbrauenlüften, ein diffuses Stirnrunzeln. Manche Erfahrung ist mit schicksalhafter Dramatik gewürzt und hin und wieder hört man schier Unglaubliches. Aber seien wir ehrlich: Normalität ist unser täglich trocken Brot.Trocken Brot gibt’s übrigens auch aus dem Automaten. Leichter verdaulich als der Mars-Riegel aus dem Snackautomaten nebenan ist es in diesem Falle aber nicht. Die Maske und zwei weitere Geschichten des Kölner Jungautors Adrian Kasnitz ist eines der kleinen gelben Heftchen aus der Reihe „Schöner Lesen“ des SuKuLTuR-Verlages und für einen Euro per Knopfdruck zu erstehen. Der spottbillige Preis, das dünne, von einer (!) wackligen Tackerklammer zusammengehaltene Papier, der pragmatische Titel, das insgesamt kühl anmutende Erscheinungsbild dieser zwanzig Gramm Literatur bilden eben jenen Rahmen einer Normalität, die so spröde, lapidar und gleichgültig erzählt ist, dass es einem das Herz zerreißt und der Atem stockt. Obwohl es klingelte, rührte er sich nicht. Es erklang zwei-, dreimal das Signal der Schelle, während er das Muster der Tapete studierte. Eine Anordnung von Blumen mit gelben Blüten und ein weiterer Strauß mit roten wechselten sich ab auf beigem Grund. Werner verbringt seine Tage damit, im Bett zu liegen. Das Blumenmuster der Tapete anzustarren. Zu atmen. Zu hören, wie Lisa nach Hause kommt. Wie sie ihn ruft, immer wieder: „Werner, wo bist du?“ – Werner ist im Schlafzimmer, zumindest körperlich. Seine Frau ist tot. Schon länger, aber der Tod liegt noch mit im Bett, trinkt noch mit Kaffee, lauert noch hinter der Kekspackung. Werners Leben ist von Beliebigkeit und Gleichgültigkeit durchwebt. Kasnitz schreibt nicht von Trauer, Tränen und Schmerz. Als fehlten dafür die Worte. Stattdessen: „Ein Wasser kochte in der Kanne, stieg auf, tränkte das Pulver und quoll empor, ein Wasser rieselte, trommelte den Körper, besänftigte, wässerte.“ Sind die unbestimmten Artikel nur Resultat eines Lebens, das keine Bestimmt- und Gewissheit mehr kennt? Oder wird Werners Leben nach dem Tod seiner Frau erst derart konturlos gerade durch die Sprache, die Kasnitz verwendet? Vielleicht ein wenig von beidem, eine zarte Annäherung von Sprache und Wirklichkeit. Die Lücke, die Werners Frau hinterlassen hat, bleibt nicht vollkommen leer. Noch immer hat sie ein Gesicht: eine weiße Maske, zu Lebzeiten an einem verregneten Waffeln-mit-Kirschen-Nachmittag in Gips gegossen. „Erst später war er auf die Idee gekommen, die Maske anzumalen. Er war geschickt, gab ihr Augenlicht, Röte und Haar, aber es sah doch sehr kindlich aus.“ Blumen und Kerzen sollen schmücken und erinnern, und doch beschleicht einen das Gefühl, die Maske sei eher eine Fratze: kündend vom Tod, von hohler Leere und von Verzweiflung. Ganz unaufgeregt erzählt Kasnitz das. Erzählt Normalität und davon, wie das Leben nun mal ist. Das erfordert bisweilen auch etwas Mut. Nämlich dann, wenn das Leben schier langweilig ist: Wenn Linke und Zamek in der zweiten Geschichte, „Mit Achtzehn“, heimlich eine rauchen gehen, SMS an begehrte Mädchen versenden oder sich, wie das mitunter bei Achtzehnjährigen ist, lieblose Wortbrocken vorwerfen. Eine Weile versuchten Linke und Zamek jemanden telefonisch zu erreichen. […] Zamek ging sein Telefonbuch durch. Als er sich für eine Nummer entschieden hatte, bemerkte er, dass sein Guthaben aufgebraucht war. Eine Aufladekarte hatte er nicht. Dann begann es wieder zu regnen, sie verließen den Bolzplatz und trennten sich am Treffpunkt. Das ist an Trivialität schwerlich zu unterbieten. Gähnen erlaubt? – Nein, ist es nicht. Zumindest nicht mehr, nachdem Kasnitz völlig unerwartet einen Hieb austeilt. Linke, Zamek und Nadine sind unterwegs im Auto. Es ist ein Tag wie jeder: ein paar Stunden am See, Schwimmen, Gespräche, Küsse. Dann die Rückfahrt. Blinker, Überholmanöver, LKW, Ausweichen. „Linke, der nicht angeschnallt war, um Nadine besser küssen zu können, wurde nach vorn geschleudert und starb.“ Schlagartig begreift man, warum einem Kalender- und Postkartensprüche à la „Lebe jeden Tag, als könnte es Dein letzter sein“ oder „Jeder Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag“ allenfalls ein müdes Grinsen entlocken, eher aber in stumpfer Gleichgültigkeit belassen. Es mag um dieselbe Sache gehen: Das Leben ist endlich. Der Mensch ist fehlbar. Die Welt ist fragil. All das wissen wir eigentlich. Wenn es dann aber in einem solch lapidaren Satz zur Sprache kommt, wenn Kasnitz nur erzählt, ohne emotional aufgeladene Worte zu verwenden und mit Konnotationen zu spielen, kommt einem das Sterben plötzlich sehr nah. Kasnitz erzählt ohne Pathos, schnörkellos verdichtet er das, was als langweilige Normalität erscheint, zu einer Normalität, über die man wieder staunen kann. Ganz ähnlich auch in der dritten Geschichte, „Ende der Ausfahrt“, die von vier Reisenden, zwischenmenschlichen Liebeleien und Problemchen erzählt – und schließlich mit einem irritierenden Ende überrascht. Da möchte man dann auch mal verstohlen grinsen. Weil Alltag eben nicht nur dramatisch, sondern auch schlicht lachhaft sein kann. Kasnitz‘ drei Geschichten sind gewogene 20 Gramm, aber gefühlte 100 Kilo. Das Leben ist nunmal nicht ganz so leicht, obwohl es fast immer ganz normal ist.« (Anna-Lena Scholz, Kritische Ausgabe)

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