vyr

vyr von Bergner,  Elisabeth
17.01.1642 Schwerer und eigenartiger dunkler Nebel hing über der tiefen Ebene und schien sich nicht zu bewegen. Wie ein lebloses Laken deckte er all die geschundenen Leiber zu und zerriss an seinen Rändern langsam in lange dünne Fetzen. Die Stille war unerträglich; das Leben schien aus der Welt gewichen. Der Geschmack von Eisen lag in der Luft. In einer besonders tiefen Stelle sammelte sich der Tau zu kleinen Tropfen an einem langen Halm eines Spitzwegerichs. Dort liefen sie hinab, fielen auf das längliche Blatt, und verdünnten den tiefroten Blutstropfen. Von dort tropfte er weiter in die hohle Innenfläche einer emporgestreckten Hand. Der kleine See glänzte schwach in der aufgehenden Sonne, aber das interessierte niemanden mehr. Denn keiner war übrig geblieben, der hätte trauern, den Nebel, die aufgehende Sonne oder gar den kleinen See bestaunen können. Es war ein Tag, den man nicht vergessen brauchte, weil er im Gedächtnis der Leute nicht existierte. Denn die Leute gab es nicht mehr. Sie waren verschwunden, tot oder in alle Winde verstreut. Das, was letztendlich blieb, war nur ein Datum, das das Ende der Zeit in dieser Gegend markierte. Vyr_innen_RZ.indd 11 25.11.22 15:21 12 1. Vier müssen es sein Es war schon recht spät an diesem Herbsttag, dem 7. im Monat des Gilbhart1 im Jahre 1653. Die Schatten wurden länger und der Mond warf sein spärliches Licht auf das umliegende Land. Die Bäume und die Häuser hoben sich nur noch schwach vom dunkler werdenden Horizont ab. Fledermäuse kreisten bereits um die Dächer und machten Jagd auf die nächtlichen Plagegeister der Bewohner. Aber ein kleiner Junge hatte sich hinausstehlen können und lugte nun um die Ecke eines Zaunpfahles herum. Er hatte etwas zu erledigen. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, als er an dem Katzendarm seiner Steinschleuder zog und auf den Hinterkopf des Nachtwächters zielte. Dabei biss er sich vor Anspannung auf die Zunge und hielt den Atem an. Er zog mit aller Kraft, dass seine Arme zitterten. Gerade als er loslassen wollte, geschah etwas völlig Unerwartetes. Hinter ihm fiel plötzlich etwas Schweres zu Boden und er erschrak darüber. Er ließ für einen Augenblick seine Schleuder sinken und drehte sich um. In dem Moment, als er den abgebissenen Apfel vom Boden hob, spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Wange und der laute Knall der Ohrfeige ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Er schrie laut auf: „Aua! Das war…“ Eine laute krächzende Stimme unterbrach ihn: „Nur Spaß?! Hä? Du dämlicher Grünschnabel! Was hast du hinter mir herzuspionieren?! Hier hast du noch eine Ohrfeige!“ Adam holte aus, aber bevor er zuschlagen konnte, rief eine männliche Stimme: „Ist gut jetzt! Adam! Ich glaube er hat‘s verstanden! Hein, komm jetzt rein, sonst setzt es was!“ „Aber ich sollte doch…“ Schon folgte die nächste Ohrfeige, dieses Mal kam sie von seinem Vater. Seine Augen funkelten und er wies ihm wortlos mit ausgestrecktem Arm die Richtung nach Hause. Der Junge rieb sich die Backe und sprang auf, um schnell das Weite zu suchen. Aber da schnellte schon der rechte Fuß des Nachtwächters vor und traf ihn ins Hinterteil. Hein jaulte auf und sein Vater eilte ihm zur Hilfe: 1 Oktober Vyr_innen_RZ.indd 12 25.11.22 15:21 13 „Mensch Adam! Was soll das?!“ Adam kniff sein verbliebenes Auge zu und streckte ihm seinen dürren Zeigefinger entgegen: „Du solltest deinen Bengel nicht wie einen Hund dressieren und ihn auf mich ansetzen! Du siehst was dabei ’rauskommt! Ich warne dich!“ „Jetzt mal ruhig, Adam. Hein wollte nur schauen was du machst.“ Adam bückte sich geschwind, dass es den Mann überraschte, und hielt ihm plötzlich triumphierend die Steinschleuder, einschließlich Stein, unter die Nase. Dem Mann entfuhr ein leises: „Scheiße!“ Adam nickte zufrieden: „Beim nächsten Mal nehme ich keine Rücksicht mehr auf deinen Jungen, Godert.“ Adam zerbrach die Schleuder und warf sie ihm vor die Füße. Ohne sich weiter umzudrehen ging er davon und rief von Weitem: „Die Nacht hat viele Augen, aber meins ist das Beste!“ Godert stemmte verärgert die Hände in die Hüften und zischte: „Gottverdammter Mist! Das müssen wir anders anfangen! Morgen in der Früh muss ich zum Willem, der…“ Plötzlich entfuhr ihm ein Schrei, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. „Ha! Was…“ Eine tiefe kehlige und raue Stimme gab sogleich Antwort: „Du fragst mich, was das soll? Ich wollte dir lediglich einen schönen und beschaulichen Abend wünschen. Ist das so verkehrt?“ Erleichtert atmete Godert auf und schob die Hand des Messerschleifers von seiner Schulter. „Mensch, kannst du einem einen Schrecken einjagen! Hättest du nicht einfach ‚guten Abend‘ sagen können, Leonhard?“ Leonhard grinste frech in die Dunkelheit hinein. Sie konnten nur noch flüchtig die Konturen des jeweiligen Gegenübers erkennen. Gedehnt und überzogen freundlich entgegnete der Messerschleifer: „Aber das habe ich doch. Also gute Nacht. Ich muss meinen Jungen Bert ins Bett bringen.“ Mit diesen Worten verschwand er plötzlich so schnell wie er gekommen war. Godert bekam keine Gelegenheit mehr etwas zu erwidern. Gerade in dem Moment, als er sich anschickte den Weg nach Hause einzuschlagen, fuhr er abermals erschrocken zusamVyr_innen_RZ.indd 13 25.11.22 15:21 14 men. Er glaubte leise, fast schon flüsternd gesprochene Worte zu hören. Nur sehr mühsam nahm er sie wahr: „Willem ist nicht mehr zu Hause. Schau auf dem Sternenfeld nach.“ Godert schüttelte seinen Kopf. War das nun Einbildung oder nicht? Er glaubte eine Ähnlichkeit mit der Stimme des Messerschleifers zu erkennen. „He, Leonhard! Was redest du für einen Quatsch!? Das Sternenfeld liegt doch gar nicht auf seinem Weg! He, Leonhard!“ Er erwartete keine Antwort; vielmehr hoffte er, dass er sich getäuscht hatte. Godert war schon ein paar Schritte gegangen und gerade als er erleichtert in sich hineinlachen wollte, dass alles nur Einbildung gewesen sei, hörte er plötzlich ganz klar und deutlich die Stimme des Messerschleifers: „Aber es ist doch der Weg des Nachtwächters!“ Godert blieb erstarrt stehen und schluckte schwer. Ein leiser Fluch entwich seinen Lippen. „Scheiße noch mal! Woher weiß der das, zum Teufel!“ Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf und er stieß einen lauten ungestalteten Schrei aus. Er wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn und rannte zurück ins Haus. Immer wieder drehte er sich ängstlich um, aber der aufkommende Nebel nahm ihm die Sicht. Ihm war ein schrecklicher Gedanke gekommen und er fürchtete sich davor, dass er zur Wahrheit werden könnte. Er warf hinter sich hastig die Haustür ins Schloss und lehnte sich schwer atmend dagegen. Sein Blick wanderte immer wieder zur Tür, als ob er erwartete, dass ein ungebetener Gast jeden Moment hineinkommen könnte. „Luise! Luise!“ Seine Frau kam mit einer Kerze um die Ecke und schaute ihn erschrocken an: „Aber was hast du denn, Godert?! Ist dir nicht gut?“ Godert fuchtelte panisch mit seinen Armen umher: „Ach jetzt lass mich! Komm hilf‘ mir mal! Wir haben noch was zu erledigen! Fass mal mit an!“ Seine Frau schaute verwundert zu ihm herüber, als er sich an dem großen Schrank zu schaffen machte, der im Flur stand. „Was hast du vor? Den wollten wir doch verbrennen, weil darin die tote Frau des Vorbesitzers Goswin…“ Mit hochrotem Kopf brüllte GoVyr_innen_RZ.indd 14 25.11.22 15:21 15 dert, als er ihren Sohn Hein kommen sah: „Jetzt halt dein Maul! Ich bin Goswin und du Luise! Es ist unser Haus, weil es keiner mehr haben wollte!“ „Aber die Leute waren doch t…“ „Ruhe! Jetzt hilf mir gefälligst! Wir haben hier schon immer gewohnt! Schluss aus!“ Er machte einen Wink mit dem Kopf und seine Frau verstand. Hein kam die Treppe herunter und riss beide Augen auf. Mit vereinten Kräften schoben sie den Schrank von innen gegen die Haustür. „Aber warum schiebt ihr den Schrank…“ „Geh jetzt rauf! Schlafen! Vergiss dein Gebet nicht!“ Der Junge nickte und Luise verstand die Welt nicht mehr. Mit einem neugierigen Blick schaute sie ihren Mann an, der ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen gab, ihm in die Küche zu folgen. Verwundert zog sie die Augenbrauen hoch und folgte ihm. Mit der spärlichen Beleuchtung der Kerze setzten sie sich an den Küchentisch und er griff sie bei den Händen. „Aua! Godert was soll das?! Du zerdrückst mir meine Hände!“ „Ach lass mich! Und wenn schon! Ich glaub’ du verstehst noch nicht ganz was los ist.“ „Dann sag schon. Was ist denn so Schreckliches passiert?“ Godert bekreuzigte sich spontan, bevor er zu sprechen begann. Die Frau wunderte sich darüber. „Was hast du? Seit wann bist du alter Heide unter die Gläubigen gegangen?“ „Haben wir noch Wein?“ Sie nickte wortlos. „Dann hol einen! Und bring zwei Becher mit.“ Nach kurzer Zeit kam sie mit den gewünschten Sachen zurück, aber er entriss ihr die Flasche. Bevor er die Becher füllte, nahm er einen großen Schluck daraus, dass Luise ihm entsetzt die Flasche aus der Hand nahm. „Bist du toll!? Wenn du betrunken bist, kannst du gar nicht mehr reden, das weißt du doch!“ Daraufhin füllte sie ihren Becher und gab Godert den Rest des Inhalts. Godert rannen ein paar Tropfen des Rotweins das Kinn herunter und er schaute sie aus großen schwarzen Augen an. So hatte sie ihren Mann Vyr_innen_RZ.indd 15 25.11.22 15:21 16 noch nie erlebt. „Nun erzähl schon. Was war passiert?“ Er schwieg eine Zeit lang und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Irgendwas ist mit Willem geschehen. Er liegt dort draußen im Sternenfeld.“ „Im Sternenfeld? Aber was macht er denn da? Er ist doch mit Maria…“ „Ach, die blöde Kuh! Die macht doch mit allen ’rum. Hauptsache sie ist fein raus. Altes Schandmaul! Damals als die Kroaten kamen, da war sie...“ Mit weit aufgerissenen Augen schaute seine Frau ihn an: „So hast du ja noch nie über sie erzählt. Davon weiß ich ja gar nichts! Ist das alles wahr?“ Er nickte nur stumm und nahm noch einen kräftigen Schluck. „Und was hat das alles mit Willem zu tun? Und was meinst du damit: ‚er liegt da draußen‘?“ Godert zog die Schultern hoch: „Habe ich das gesagt?“ Luise schlug sich an den Kopf und wurde nun ihrerseits laut: „Ja, hast du! Ganz klar und deutlich!“ „Ja dann wird es wohl stimmen.“ Er schaute sie mit einem schrägen Blick fragend an und sagte: „Na, dann sollte man mal dahingehen und ihn selber fragen, oder?“ Luise gab keine Antwort, sondern gab ihm eine Ohrfeige. „He, was soll das? Das hast du ja noch nie gemacht!“, rief Godert verwundert aus. „Du bist genauso ein Saufbold wie dieser Nachtwächter tho Everhartz! Also wenn du jetzt nicht sofort mit der Sprache herausrückst, dann gehe ich morgen zum Schultheis und werde ihm alles er…“ Ihr Mann ergriff ihre Hand: „Nein! Tu‘ das bloß nicht! Dann sind wir erledigt! Dann kommt doch alles, das hier mit dem Haus und unserem Nachnamen, heraus!“ Luise überlegte und knabberte an ihren Fingern. „Also gut. Morgen früh, nach dem ersten Hahnenschrei, gehen wir zum Sternenfeld und schauen nach. Und wehe du hast Mist gebaut!?“ „Wenn, dann schon wir“, gab Godert kleinlaut zur Antwort. Sie nickVyr_innen_RZ.indd 16 25.11.22 15:21 17 te ernst. Ein paar Sekunden lang herrschte eine eigenartige Stille, so als sei dies gewollt. Beide schauten sich schweigend an und jeder schien jeweils einem anderen Gedanken nachzuhängen. Gerade als sie sich zunickten und es für eine beschlossene Sache abtun wollten, schlug etwas Festes mit großer Wucht gegen die Haustür. Erschrocken fuhren sie zusammen und hielten sich bei den Händen fest. Keiner wagte etwas zu sagen; sie verhielten sich still wie kleine Mäuse, die in der Speisekammer den unerwarteten Besuch einer Katze bekommen hatten. „He! Ihr da! Löscht endlich euer Licht! Es ist bald vier! Hörst du Godert?! Vier! Denk an die Vier! Vier müssen es sein! Vergiss das nicht!“ Luise pustete, wie befohlen, gehorsam das Kerzenlicht aus. Schwere Schritte entfernten sich. Dann kamen sie wieder näher. „Er geht um‘s Haus! Er sucht einen Einstieg! Jetzt weißt du warum ich den Schrank…“, flüsterte Godert. Seine Frau nickte. „So ist recht, Godert! Ich sehe, dein Licht ist jetzt aus!“ Luise drückte seine Hand fester und flüsterte aufgeregt: „Das ist aber nicht die Stimme des Nachtwächters!“ Ihr Mann schüttelte langsam den Kopf, als würde er nachdenken: „Nein, und auch nicht die vom Messerschleifer.“ „Messerschleifer?“, wiederholte sie. Er nickte nur und schluckte tief. „Was meinte er mit: Vier müssen es sein?“ Er schluckte abermals tief, dass sich sein Adamsapfel auf und abwärts bewegte: „Das weiß ich nicht, Luise. Ich wollte ich könnte alles rückgängig machen. Alles!“ „Godert! Liebster! Was ist?“ „Luise. Die Vier ist nicht nur eine Zahl. Sie hat was mit dem Marschall tun.“ Sie saßen sich im Dunkeln gegenüber und konnten sich nicht sehen. Aber doch spürten beide die suchenden Blicke des anderen auf ihren Gesichtern. Sie spürten, dass ihr Leben in Gefahr war. Luise packte wieder fester zu. Godert schrie auf, aber Luise hielt ihm ihre Hand vor den Mund. „Psst! Ich glaub nicht, dass er schon gegangen ist. Welchen Marschall meinst du?“, flüsterte sie weiter. Godert nahm ihren Becher und trank ihn in einem Zug aus. Vyr_innen_RZ.indd 17 25.11.22 15:21 18 „Du musst mir versprechen es keinem weiter zu erzählen. Das, was ich dir jetzt sage ist gefährlich, gefährlich zu wissen. Ich habe mit einem Marschall Namens Rose einen…“ Plötzlich schrien beide laut auf. Direkt neben ihrem Fenster erklang wieder jene Stimme. „Rose?! Godert, sagtest du Rose?! Etwa Marschall Rose?! Lass lieber die Vergangenheit ruhen!“ Die Stimme wurde jetzt deutlich leiser, bekam aber einen bedrohlichen Unterton. Sie schien direkt neben ihnen zu sein. „Es könnte dir schlecht, sehr schlecht bekommen. Lass die Vergangenheit ruhen, Godert van Lem! Du solltest besser schlafen gehen. Morgen musst du frisch sein, Godert Kosserod.“ Die Schritte entfernten sich langsam und ihr Herzklopfen verringerte sich, von Schritt zu Schritt. „Woher weiß der deinen richtigen Namen, Godert?“ Godert gab nichts zur Antwort. Er ließ seinen Kopf nach vorn fallen und gab nichts zur Antwort. Ihr Bemühen war vergeblich. Schließlich ließ sie ihn dort wo er war und ging schweren Herzens ins Bett. Als Luise im Bett lag, starrte sie noch eine Weile die Decke an und lauschte, ob sich ihr Mann doch noch von seinem Platz erhob. Aber kein Knacken der Dielen war zu hören. Nach einer endlosen Zeit tat sie einen tiefen Seufzer und schloss die Augen. Luise war schon fast eingeschlafen, als sie plötzlich ein lautes schleifendes Geräusch hörte. „Da ist jemand an der Tür“, flüsterte sie aufgeregt und erhob sich langsam aus dem Bett. Ihre Holzschuhe ließ sie dieses Mal aus und schlich den Flur entlang Richtung Treppe. Unten machte sich tatsächlich jemand am Schrank zu schaffen. Und das war ihr Mann. Er hatte schon die Hand auf der Türklinke und war im Begriff sie zu öffnen. Überrascht darüber und entsetzt zugleich rief sie: „Godert! Wo willst du hin?“ Ihr Mann aber antwortete nicht, sondern schaute sie nur wortlos aus seinen tief liegenden Augen, zwei dunklen Höhlen gleich, mit einem eigenartigen Blick an. Sie verstand nicht. Godert nickte nur noch einmal kurz und verschwand dann in der Dunkelheit der Nacht. Mit einem kurzen Aufschrei rannte sie den Flur hinunter und blieb in der offenen Tür stehen. Weit in die Nacht hinaus drang ihr Vyr_innen_RZ.indd 18 25.11.22 15:21 19 gellender Schrei: „Godert! Komm zurück! Godert!“ Ihr Herz raste und nach einer Weile, als das Rauschen in den Baumwipfeln für einen kurzen Moment pausierte, war es ihr, als hörte sie einen kurzen Aufschrei. Leise, fast so leise, als hätte sie zu sich selbst gesprochen, sagte sie mehr fragend: „Godert? Bist du das?“ Plötzlich erklang ein lautes dumpfes Geräusch und nach einem kurzen angstvollen Aufschrei sprang sie wieder hinein ins Haus und schmiss hastig die Tür hinter sich zu. „Hein! Hein komm schnell! Hilf mir!“ Der Junge kam verschlafen die Treppe herunter und rieb sich die Augen. „Was ist denn los, Mama?“ Sie gab ihm daraufhin eine Ohrfeige und schrie: „Frag nicht so blöd! Fass endlich mit an! Da draußen ist der Teufel los!“ Hein war sofort wach und half den Schrank wieder vor die Haustür zu schieben. Kaum hatten sie es unter großen Mühen vollbracht, als die Tür plötzlich von einem schweren Aufschlag getroffen wurde und in den Angeln erzitterte. Im Dunkeln schauten sich beide mit weit aufgerissenen Augen an. Keiner sagte ein Wort. ...........
Aktualisiert: 2022-12-10
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Das Eulenrad

Das Eulenrad von Nellessen,  Christoph
Wir befinden uns im Frühjahr des Jahres 1651. Ein Mann wird mitten auf der Grenze zwischen den protestantischen Niederlanden, genauer gesagt in Dulken, und dem katholischen Erzbischofstum Köln, auf dem Gebiet von Vyrssen, in zwei Teile zerschnitten, aufgefunden. Der obere Körperteil wird nach Dulken und der untere nach Vyrssen, in das Kloster „In den Kivitten“, gebracht. Parallel dazu verschwindet, ohne ersichtlichen Grund, Johannes Nethox spurlos. Nur ein letzter Brief von ihm, in dem er seine Freunde aus der TRIGLAW darum bittet, sich um seinen Lehrburschen Peter Barsdonk zu kümmern, bleibt zurück. Schweden besetzen Dulken und kümmern sich nicht um die „grüne“ Grenze zwischen den beiden Reichen; den Abraham`s Büschen. Sie verunsichern das Holthuusener Feld und immer wieder tauchen neue Tote auf. Theiß und Adam bekommen Verstärkung durch Samuel Junker und Larsen Cornelisson, aber auch sie können nicht den klugen kleinen Kopf des Magisters ersetzen. Alle Zeichen deuten auf eines hin; die Vergangenheit, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, hat sie wieder eingeholt. Aber wo steckt Johannes Nethox?
Aktualisiert: 2023-03-27
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Die tätowierte Seele

Die tätowierte Seele von Nellessen,  Christoph
1650, der Dreißigjährige Krieg ist gerade zu Ende, aber noch nicht beschlossene Sache. Der Friede soll erst am 26. Juni in Nürnberg vollstreckt werden. Im Mai des gleichen Jahres jedoch, geschehen merkwürdige Dinge im beschaulichen Vyrssen. Als hätten die Bewohner nicht schon genug unter den entsetzlichen Folgen von Hunger, Krankheiten und Überfällen zu leiden, nisten sich zudem eigenartige Fremde im Gasthof Zum goldenen Rahbarber ein. Nur durch Zufall stößt die Triglaw auf diese Gefahr und beginnt mißtrauisch zu werden. Mit Recht, denn wie sich bald herausstellt, nehmen die Ereignisse immer größere und gefährlichere Ausmaße an: Die Vergangenheit ist wieder zurückgekehrt. Letztendlich ist sogar der Westfälische Friede in Gefahr. Der Nachtwächter Adam tho Everhartz, der Schmied Theiß ten Dahl und der Magister Johannes Nethox, genannt die Triglaw, müssen wieder aktiv werden. DIE TÄTOWIERTE SEELE Der Tanz auf der Nadel, der Tanz auf dem Dorn. Stets kommt der Wandel, so werden wir gebor`n. 1.DER FREMDE „Hast du Lust mit zum Goldenen Rahbarber zu kommen?!“, rief Adam tho Everhartz schon von weitem, als er sich der Schmiede näherte. Als Nachtwächter von Vyrssen war er in den frühen Morgenstunden von seinem Rundgang nach Hause gekommen und hatte sich für ein paar Stunden auf`s Ohr gelegt, wie er immer zu sagen pflegte. Jetzt war er ausgeruht und es drängte ihn, seinem Freund Theiß ten Dahl einen Besuch abzustatten, um mit ihm zu ihrem Lieblingsgasthof zu gehen. Theiß saß mit verschränkten Armen vor seiner Haustür und hatte die Augen geschlossen. Er machte gerade eine Mittagspause und faulenzte in der warmen Sonne des Winnemond (heute Mai), während der Lehrbursche noch in der Werkstatt den Blasebalg betätigen mußte, um die Glut in Gang zu halten. Natürlich hatte er den Nachtwächter gehört, aber er machte sich einen Spaß daraus, seinen Freund auf eine Reaktion warten zu lassen. Deshalb, weil er wußte, das Adam es nicht mochte. Und der Wutausbruch seines Freundes kam prompt, was ihm ein zufriedenes Lächeln auf das vernarbte Gesicht zauberte. „ He! Hast du mich nicht gehört?! Theiß! Thaaeiß! Verdammt noch mal! Nimm gefälligst deine verrosteten Eisenspäne aus den Ohren! He! Bist du taub?!“ Adam blieb ein oder zwei Schritte in respektvollen Abstand vom Schmied entfernt stehen und blickte zornig auf ihn herab. Mit hochrotem Gesicht, die Hände in die Hüften gestemmt, wippte er unruhig auf seinen Füßen auf und ab. Er sah, dass sein Freund nicht am Schlafen war, denn sein Bauch bewegte sich dafür zu schnell auf und ab. Leicht gereizt, und mit zur Seite geneigtem Kopf, ließ er so einige Sekunden verstreichen. Aber noch immer wartete er vergeblich auf eine Reaktion. Da erkannte er das flüchtige und verräterische Lächeln im Gesicht seines Freundes, und das steigerte seine Wut: „Du gottverdammtes Arsch! Mach endlich deine Kuhaugen auf! Glaub ja nicht, dass ich dein Spiel nicht schon lange durchschaut hab! Ich laß mich nicht mehr von dir auf den Arm nehmen! Ich nicht! Und dir zu Liebe und meiner Gesundheit wegen, werde ich mich nicht mehr über deine bescheuerten Späße aufregen! Das ist schon lange aus und vorbei! Hast du gehört?!“ Adam hielt kurze Zeit inne, schlug seine Augenklappe hoch und beugte sich verunsichert vor, um Theiß näher betrachten zu können. Etwas außer Atem und nun doch deutlich versöhnlicher, sprach er in gemäßigter Lautstärke: „ Außerdem hab` ich solch einen Brand, dass kannst du dir gar nicht vorstellen. Frieda schenkt heute auch aus. Du weißt doch, die mit den großen Brüsten. Kommst du jetzt mit oder nicht?“ Aber als einzige Reaktion wurde das breite Grinsen seines Freundes nur noch breiter und die Lachfalten zahlreicher. Adam sah das und fuhr verärgert hoch. Schon lange hatte er diese Spiele satt. Es entstand eine kurze Pause, denn er kam auf den Gedanken Theiß von 1 seinem Hocker zu stoßen. Der Nachtwächter haderte, unterließ es dann aber doch, weil er zu große Angst vor seinen Wutanfällen hatte. Schließlich gab er sich mit einem tiefen und hilflosen Seufzer geschlagen: „ Also gut! Ich bezahl heute!“ Adam sah zerknirscht drein, auch dann noch, als Theiß endlich seine Augen öffnete. Der Schmied lächelte zufrieden: „Na geht doch!“ Noch etwas genervt ließ Adam seine Augenklappe zurückschnellen; was ein untrügerisches Zeichen dafür war, dass seine Geduld die Grenze des Möglichen erreicht hatte. „ Nur noch dieses eine Mal, dann bist du wieder dran! Sonst werde ich dir nicht mehr helfen, wenn abends wieder Holland in Not ist!“ Theiß schaute verwundert auf: „ Soso. Das ist ja interessant. Seit wann brauchte ich denn mal deine Hilfe?“ Adam kratzte sich verlegen am Kopf und suchte nach den passenden Worten: „Tja, also. Also wenn du,… Ich meine wenn du das nächste…“ Aber Theiß klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter: „Mensch, Adam! Versuche es gar nicht erst. Bei mir war noch nie Holland in Not!“ „Na, man weiß doch nie. Irgendwann könnte es dich auch mal treffen! Es hat schon… “ „…komm, lassen wir das Thema. Damit du endlich deine Klappe hältst, gehen wir besser sofort los und; ja, ich bezahle! Sogar freiwillig!“ Plötzlich stutzte Theiß und schaute verwundert nach unten: „Sag mal. Wo hast du denn diese unmöglichen Schnabelschuhe her!?“ Den Triumph noch im Stillen auskostend und ganz in Gedanken versunken, fuhr der Nachtwächter erschrocken auf und fragte etwas verwirrt: „Was? Wie?“ „Na, die Schuhe! Was sind das für hässliche Dinger?! Und dafür hast du noch Geld bezahlt?“ Adam schaute etwas irritiert: „Hast du die noch nie gesehen? Die tragen jetzt doch alle Leute in der Stadt!“ Der Schmied lachte und zeigte belustigt auf die Schuhspitze: „Was baumelt denn da vorne dran?“ Adam bückte sich und betrachtete sie ausgiebig und merkte nicht, wie Theiß an seine Geldkatze ging und ihm ein paar Gulden herauszog. „Ich weiß gar nicht…“ „…ach komm. Laß gut sein! Ist mir auch egal! Du mußt sie ja doch tragen.“ Adam kam wieder hoch, schaute zuerst etwas verwundert und dann mit einem Mal sehr mißtrauisch. Schließlich drückte er dem Schmied seinen langen dünnen Zeigefinger auf die Brust: „Sag mal, versuchst du mich wieder zu verarschen? Ich kenne dich doch!“ Theiß setzte seine Unschuldsmiene auf: „Nein, nein. Warum sollte ich denn?“ „Na! Vielleicht wolltest du mir in den Allerwertesten treten, oder so ähnlich?!“ Theiß lachte erleichtert und machte eine einladende Bewegung mit der Rechten: „Ach Quatsch! Wo denkst du hin. Komm laß uns gehen. Du hast doch so einen Höllenbrand, oder nicht? Je eher wir da sind, umso besser.“ Adam betrachtete ihn immer noch mißtrauisch und sein Auge suchte nach irgendwelchen verräterischen Anzeichen in seinem Gesicht. Aber vergeblich, und er wurde das Gefühl nicht los, dass Theiß weiter sein Spiel mit ihm trieb. „Hast ja Recht. Gehen wir. Zum Goldenen Rahbarber?“ „Natürlich! Bei dem schönen Wetter!“ Sie gingen zu Fuß und kamen am `Bebroecker Weiher` vorbei, der in einer Senke lag und von mehreren kleinen Bächen gespeist wurde. Hinter ihnen im Westen, erhob sich der majestätische wirkende Junkersberg, auf dessen Spitze die Junkersburg mit ihren Zinnen zwischen den Bäumen hervorschaute. Auf der östlichen Seite des Weihers stieg das Land wieder allmählich an und sie kamen jetzt zum Galgenberg, der vor der Ortschaft Helenasbrunn lag. 2 „Diesen scheiß Berg noch, dann haben wir uns sicher noch ein zusätzliches Bier verdient!“, fluchte Adam und Theiß klopfte ihm lachend auf die Schulter: „Du kannst wohl nie genug bekommen, was? Eigentlich müsstest du doch froh sein, dass es diesen Galgenberg gibt. Oder nicht?“ Adam schaute etwas ernst und sagte: „Naja, wie man`s nimmt! Im letzten Winter hätte ich hier beinahe meinen letzten Atemzug wegen diesem verfluchten Wintermörder gemacht! Hast du das schon vergessen?“ „Nein, nein! Mein alter Freund. Wie könnte ich das vergessen haben. Aber das ist nun schon längst Geschichte. Laß uns nicht mehr daran denken. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal in eine ähnliche Lage kommen werden. Die Triglaw, also du, Johannes Nethox und ich, werden wohl nicht mehr gebraucht.“ Sie passierten wortlos und mit eiligen Schritten den Bergkamm der Richtstätte. Der Pfad, den sie jetzt herabkamen, führte sie an unzähligen Obstgärten vorbei, in denen es in allen möglichen Klangvariationen summte und surrte. So schön sie auch waren, aber sie wollten nicht so ganz in das schauerliche Bild passen, das sie soeben noch vor Augen hatten. Endlich kam der Gasthof Zum Goldenen Rahbarber des Paulus Rah in Sicht, dessen Schreibweise an seinen Nachnamen erinnern sollte, und ihre Schritte wurden wieder etwas schneller. Adam schien alles Vorherige vergessen zu haben und fuhr sich bereits genüßlich mit der Zunge über die Lippen. „Mann, was habe ich nur für einen Brand heute.“ Und mit einem Zwinkern an seinen Freund gerichtet: „ Na, wie gut, das du heute bezahlst, so schmeckt das Bier noch Mal so gut!“ Theiß nickte zustimmend, legte seinen Arm auf seine Schulter und hatte seinen Spaß, als er mit einem gespielten und wohlwollenden Lächeln sagte: „Geht schon klar, Adämchen. Jeder kriegt das was er verdient.“ Adam nickte vergnügt. Sie gingen unter dem hohen Torbogen hindurch und kamen über den Innenhof zum Hauptgebäude. Rechts, neben dem Haupteingang, befand sich ein Durchgang, der wie ein Tunnel durch das Haus auf die andere Seite führte. Es war nur ein kleiner Durchgang, aber immerhin groß genug, das zwei Leute nebeneinander gehen konnten. So erreichten sie den hauseigenen Obstgarten, der mit laubenähnlichen Sitzecken unter jeden Baum ausgestattet war. Die knorrigen Äste mit ihrem dichten Laubdach, waren dabei willkommene Schattenspender. „Nehmen wir wieder den Kirschbaum am Ende des Gartens?“, fragte Theiß. „Scheißegal! Hauptsache…“ „…du kannst deinen Brand löschen!“, setzte der Schmied seinen Satz fort. „Ja, genau! Selbst wenn uns die Tauben wieder den Tisch vollgeschissen haben! Komm, laß uns etwas schneller gehen. Sonst kommt noch so ein Pfeffersack oder Kluet daher und versucht ihn uns streitig zu machen!“ Sie hatten Glück. Der Sitzplatz war noch einer der wenigen freien Plätze; eben wegen jenem Taubenkot, und sie eilten sich diesen zu besetzen. Es dauerte nicht lange und sie konnten die erste Bestellung aufgeben. Eine junge blonde Frau mit einem tiefen Ausschnitt kam. Sie konnten nicht anders als dauernd auf ihre großen Brüste zu schauen. „He Frieda! Hast du noch ein Bier für uns?“, rief der Schmied. „Du meinst wohl zwei, mein Bärchen!“, kam die Antwort. Adam starrte währenddessen auf ihren Ausschnitt und machte dabei ein recht dummes Gesicht. Theiß sah das und schlug ihm leicht unter das Kinn: „Mach die Klappe wieder zu! Frieda ist schon in festen Händen!“ Die Frau kicherte und verließ wieder den Tisch. „Mann, hat die einen Hintern! Den müßte man…“ „He! Bist du nicht zum Biertrinken hier? Jedes Mal das Gleiche! Irgendwann mußt du doch mal kapiert haben, das bei Frieda für dich Hopfen und Malz verloren sind!“ 3 „Mensch Theiß! Hast du nicht ihre schönen weißen Zähne gesehen! Und diese festen Lippen! Blutrot sag ich dir. Blutrot. Dafür würde ich glatt mein Bierkrug stehen lassen. Hörst du mir überhaupt zu?!“ Theiß schüttelte den Kopf und gab es auf. Stattdessen wanderte sein Blick umher und er betrachtete die anderen Gäste. Nebenan, zu ihrer Rechten, an einem stattlichen Apfelbaum, saßen zwei alte Männer, ihrer Körperhaltung nach, schon recht lange, denn sie lehnten weit vornüber gebeugt und schienen sich krampfhaft an ihren Bierkrügen festzuhalten. Zu ihrer Linken, befand sich eine Gruppe von Handwerksleuten, die sich andauernd laut lachend zuprosteten. Dazwischen wirbelte Friedas roter Rock geschäftig immer wieder auf. Sein Blick schweifte weiter umher, bis er schließlich verwundert an einer weit entfernten dunklen, halb verfallenen Sitzlaube hängen blieb. Sie befand sich in der nördlichsten Ecke des Obstgartens, unter den ausladenden Ästen einer Tanne des Nachbargrundstückes, die über den Zaun hingen und von einer Seite durch die Mauer eines Wirtschaftsgebäudes begrenzt wurde. Diese Sitzecke war bei den Gästen schon seit langem sehr unbeliebt und nicht mehr genutzt worden. Deshalb wurden jetzt nur noch Küchenabfälle und dergleichen dort hingeworfen. Aber heute war es anders und sie schien besetzt zu sein. Denn er glaubte kurz eine bleiche Hand gesehen zu haben, die zwischen ein paar Ästen hervorschnellte, um Einen davon etwas weiter hinunter zu biegen. „Adam, guck mal da hinüber.“ „Was ist denn da? Hast du Hunger? Bist du etwa scharf auf die Küchenabfälle?“ Der Nachtwächter kicherte. „Quatsch! Nichts als Küchenabfälle! Das habe ich ja auch zuerst gedacht. Aber ich glaube da sitzt tatsächlich jemand. Einer von den großen Ästen hatte sich bewegt.“ „Das glaube ich nicht. Vielleicht war`s nur ein beklopptes Eichhörnchen oder so. Wer setzt sich denn da freiwillig hin? Dieser elendige Gestank und dann noch die fiesen spitzen Nadeln der Tanne. Freiwillig setzt sich doch keiner da hin. Selbst wenn das Bier umsonst wäre!“ Aber Theiß ließ sich nicht beirren und stieß plötzlich den Nachtwächter an: „Da! Guck doch! Frieda bringt gerade einen Bierkrug dorthin.“ Gespannt und erwartungsvoll blickten sie hinüber, als sich Frieda der Ecke näherte. Zu ihrer Überraschung blieb sie jedoch ein paar Meter vor der Tanne entfernt stehen und stellte das Gefäß auf dem Boden ab. Dabei schaute sie nicht einmal auf; so als sei es ihr verboten und hastete schnell wieder davon. „Hast du das gesehen?“, rief Theiß mit unterdrückter Stimme. „Ja, komisch. Aber vielleicht sitzt da ja nur ein Hund“, versuchte Adam eine Erklärung zu finden und kratzte sich dabei etwas verlegen am Kopf. „Na, das werden wir ja sehen! Laß uns abwarten und sehen was weiter passiert.“ „Ah! Da kommt schon unser Bier!“, rief Adam begeistert. Bevor Frieda wieder verschwinden konnte, hielt Theiß sie an der Hand fest: „Sag mal Frieda, wer sitzt dort drüben unter der Tanne? Wer ist das?“ Sie erschrak bei diese Frage, und das wunderte ihn. „Frieda, was ist los?“ Sie schaute unsicher zur Seite und versuchte sich loszureißen. Aber Theiß hielt sie fest und versuchte vergeblich ihren Blick fest zu halten. „Theiß! Aua! Du tust mir weh!“ Sofort lockerte er seinen Griff und Frieda verschwand geschwind, ohne auch nur eine Antwort oder einen Wink zu geben. „Verstehst du das, Adam?“ „Ne. Komisch ist das schon. Aber warum sagt die denn nichts? Und ganz schön zickig war sie obendrein. Eigenartiges Frauenzimmer.“ „Eben. Sie schien schon fast Angst zu haben. Ich glaube, ich geh mal `rüber zum Paulus.“ Adam aber hatte ganz andere Sorgen: „Meinst du das ist eine gute Idee? Dein Bier wird doch warm.“ „Dann bleib doch einfach sitzen!“ Aber da kam ihm eine Idee: „Vielleicht ist das sogar sehr 4 gut!“ Adam beäugte gierig seinen Bierkrug und hörte nur mit einem Ohr zu: „Sag ich doch. Sag ich doch.“ „Gut. Ich geh` dann mal zum Paulus und du beobachtest weiter diese Ecke dahinten.“ „Geht doch klar Mann! Kein Problem.“ Theiß ging hinein in den Schankraum und fragte sich zu Paulus durch. Endlich fand er ihn beim Austauschen eines leeren Bierfasses. „Grüß dich Paulus! Kann ich dich mal kurz sprechen?“ „Nur wenn du mir zuerst hilfst, dieses schwere Ding auszutauschen!“ Theiß schnappte sich das volle Bierfaß und stemmte es auf die Theke, nachdem Paulus Rah das Leere entfernt hatte. Im Handumdrehen hatte der Wirt einen Zapfhahn hinein geschlagen und wollte schon das nächste Bier anzapfen, als der Schmied ihm seine Rechte auf die Schulter legte. „Hehe! Braunbär! Was soll das?“ Der Wirt, der wegen seiner starken Körperbehaarung von Allen so genannt wurde, schaute mit einem gequälten Lächeln zu ihm auf: „Ja? Was ist? Kannst du mich nicht meine Arbeit machen lassen?“ „Wir hatten doch eine Abmachung! Ich helfe dir und du opferst mir eine Minute deiner wertvollen Zeit!“ Verlegen nahm Paulus seine weiße Schürze in die Hände und rieb darin nervös seine Hände. Dann drehte er hektisch seinen Kopf umher, als hätte er Angst und flüsterte: hinter vorgehaltener Hand: „Komm mit nach hinten in die Küche! Es ist nicht gut für mich wenn man uns hier sieht.“ Theiß zog verwundert die Augenbrauen hoch und ihn beschlich ein ungutes Gefühl: „Aber du weißt doch noch gar nicht, was ich von dir wissen will!“ Paulus Rah preßte die Lippen zusammen und drehte sich abermals um. „Halt die Klappe, und komm jetzt mit! Nicht hier!“ Er folgte dem Wirt durch einen schmalen Flur und die Küche, bis sie endlich den Vorratsraum erreicht hatten. Listig wie eine Katze, löschte er dabei alles Licht hinter ihnen. Paulus wies ihm einen Platz auf einem Bierfaß zu und schloß die Tür, kurz nachdem er noch einmal hinaus gespäht hatte. „Was hast du denn, Paulus? Was ist hier eigentlich los? Zuerst Frieda, und jetzt du! Ich erkenn euch gar nicht mehr wieder!“ Paulus legte den Zeigefinger an den Mund: „Psst! Nicht so laut! Das wirst du gleich wissen, wenn ich fertig gesprochen habe“, flüsterte der Wirt mit angespannter Stimme. Theiß kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und er ahnte, dass etwas Eigenartiges im Anmarsch war, wie er immer zu sagen pflegte. „Frieda kam eben schon zu mir gerannt und erzählte mir bereits, dass du schon so neugierig gewesen bist!“ „Neugierig?! Was soll das denn heißen? Jetzt ist aber mal Schluß hier! Ich wollte nur wissen, was das für ein Typ dahinten in den dunklen Ecke ist!“ „Und genau das ist ja unser Problem!“ „Problem! Was für ein Problem?!“, rief Theiß überrascht. „Nicht so laut! Brüll doch nicht so `rum! Sonst hört der uns noch!“ „Wer?! Nun sag schon! Wer?!“ Paulus Rah kratzte sich am Kopf und wischte sich die Schweißperlen mit seiner schmutzigen Schürze von der Stirn. „Nur, wenn du mir versprichst, nicht mehr laut zu werden. Seit du in dieser Triglaw bist, bleibt dir auch gar nichts mehr verborgen!“ „Warum sollte das denn? Ihr solltet froh sein, das wir letztes Jahr diesen Thoms Neckels dingfest machen konnten.“ Paulus hielt abwehrend die Hände hoch: „Sicherlich. Das sind wir auch alle hier. Aber manchmal ist es auch gut nicht alles zu wissen.“ „Versteh ich nicht.“ Der Wirt verzog etwas gereizt das Gesicht. „Genau das habe ich befürchtet!“ Theiß war mit seiner Geduld ebenfalls fast am Ende und stand langsam, und schon fast drohend, von seinem Faß auf. Mit seinem muskulösen rechten 5 Arm wies er zum Ausgang und sagte: „Wenn du mir nicht sofort sagst, was hier gespielt wird, gehe ich hinaus und werde mir diesen eigenartigen Kerl anschauen! Aber,“ und er beugte sich zu ihm hinunter, „ ein falsches Wort oder ein falscher Pieps von ihm, dann kann ich dir für nichts garantieren!“ Paulus wollte etwas sagen, aber Theiß unterbrach ihn und sagte erregt: „Und dann werden wir uns beide noch mal unterhalten!“ Paulus schluckte. Er schien in seinen Gedanken zweierlei abzuwägen. Dann hatte er sich entschieden: „Gut. Setz dich und höre zu! Aber ich habe eine Bedingung, kein Wort zu irgendjemanden sonst! Klar?“ Theiß schüttelte seinen Kopf und winkte entschlossen ab. „Nein! Kann ich nicht versprechen!“ Der Wirt holte tief Luft und ihm entfuhr ein leises: „Scheiße!“ Theiß tippte ungeduldig auf den Deckel des Bierfasses. „Dann darfst du es aber nur den anderen der Triglaw erzählen.“ „Das geht in Ordnung. Erzähl jetzt schon!“ „Unter der Tanne sitzt ein Kerl, dessen Gesicht niemand sehen darf. Heute Morgen kam er in einer Kutsche in Begleitung mit sechs schwarz gepanzerten Kürassieren zu mir auf den Hof gefahren. Er war unter einer schwarzen Kapuze versteckt. Ich erschrak, als ich den Aufzug sah. Die Panzerritter hielten ihre Visiere verschlossen und ich bekam zuerst niemanden zu Gesicht. Mir standen die Haare zu Berge, als die Ritter auf mich zukamen und mir wortlos ihre Schwerter an die Kehle hielten. Dann stieg ein älterer, grauhaariger Mann aus der Kutsche und sagte mit schneidender Stimme: Gütiger Herr Rah, ich gebe ihnen hiermit einen Mann in ihre Obhut, dem sie für ein paar Tage Unterschlupf zu gewähren haben! Sollte ihm wider Erwarten etwas zustoßen, wird das für sie und ihre Familie ernsthafte Folgen haben! Sie alle werden dann mit ihrem Leben dafür bezahlen müssen!“ „Ein höchst unangenehmer Kerl, sag ich dir!“ „Was geschah dann?“ „Ich Esel, fragte dann noch nach dem Namen des Herrn!“ „Und?“ „Nichts und! Die Schwerter bohrten sich tiefer in meinen Hals, dass ich glaubte, es wäre um mich geschehen! Auf einen Wink des alten Mannes hin, ließen sie von mir ab und stattdessen kam er und packte mich bei der Kehle. Die Metallplatten an seinem Handschuh haben mir den ganzen Hals zerschnitten! Deshalb das Halstuch. Mit dem Lachen eines Folterknechtes von der schlimmsten Sorte, sagte er plötzlich: Öffnen sie ihren Rachen! Ich tat es. Dann fragte er mich, ob ich schon einmal was von einem Schwedentrunk gehört habe. Ich nickte. Er lachte und erklärte mir, dass er diesen Trunk nicht nach der üblichen Art und Weise verabreiche. Damit die Jauche besser fließen könne, würde er zuerst jedem die Zähne ziehen lassen. Dann müssten die Angehörigen sich selbst den Trunk verabreichen. Schließlich wolle er sich nicht die Finger an diesem Teufelszeug schmutzig machen! Zum Schluß, bevor er und die Reiter wieder abfuhren, warnte er mich, dass der Name des Besuchers geheim sei und jeder Versuch ihn herauszufinden, ebenfalls mit dem Tode bestraft würde!“ Theiß sah Paulus ängstlich zitternd auf dem Faß sitzen und überlegte was er jetzt am besten sagen sollte, denn, wie jetzt Adam sagen würde; war hier Holland in Not. „Paulus Rah. Das sind schlimme Nachrichten! Aber das kann man nicht so einfach über sich ergehen lassen!“ Sofort fiel der Wirt vor ihm auf die Knie und hielt die Hände gefaltet: „Theiß! Bitte sage niemanden etwas! Du hast es versprochen! Unser aller Leben ist in Gefahr! Sie werden heute Abend schon wieder zurückkommen!“ Theiß faßte ihn bei den Händen und hob ihn vorsichtig wieder auf: „Das weiß ich doch, alter Freund! Aber sobald dein eigenartiger Gast mit ihnen deinen Hof verlassen hat, werden wir ihnen folgen und herausfinden, wer er und sie sind. Auf unsere Gefahr hin, versteht sich!“ Paulus Rah schaute wieder etwas hoffnungsvoller drein und nickte: „Ja, das hört sich schon besser an. Laß sie erst einmal weit weg sein, dann ist es mir auch 6 egal.“ Theiß schaute verbittert: „Ich habe immer gedacht, dass der Dreißigjährige Krieg vorbei ist! Verflucht! Wer sitzt denn jetzt da draußen?“ „Das weiß ich nicht. Vielleicht einer der Kürassiere? Vielleicht der Hauptmann? Der Gast? Theiß, das Beste wird wohl sein, das ihr jetzt geht. Sonst schöpft der alte grauhaarige Kerl noch Verdacht.“ Theiß dachte angestrengt nach und nickte: „Ja, stimmt. Das wird wohl das Beste sein! Für`s erste! Jetzt, da man uns vielleicht schon gesehen hat, ist es aber erforderlich, das Johannes Nethox ab und zu vorbei kommen wird.“ Der Wirt nickte. Sie gingen hinaus und Theiß kehrte zu Adam zurück. „He! Wo warst du so lange? Mit Frieda spielen?“ Aber der Schmied war im Moment nicht für solche Späße aufgelegt. Er spürte in seinem Rücken förmlich den bohrenden Blick des Fremden. Eine tödliche Gefahr, wie ein leises Gewitter, langsam, aber stetig anschwellend, je länger sie hierblieben. „Halt deinen Schnabel, Adam! Wir müssen sofort von hier verschwinden!“ Adam schaute ihn ungläubig aus seinem großen Auge an: „Was ist denn los?“ Aber Theiß hielt nur den Finger an den Mund und flüsterte: „Tu am besten so, als seiest du betrunken. Das fällt am wenigsten auf. Ich erkläre dir gleich alles, wenn wir bei mir zu Hause sind.“ „Aber eine kleine Entschädigung wird`s doch geben, oder?“ „Ja, natürlich! Ich kann jetzt auf jeden Fall auch einen Schluck gebrauchen!“ „Na, dann bleiben wir doch einfach…!“ „…aber nicht hier!“ „Ist denn was passiert? Was Schlimmes?“ Theiß nickte, zwei Mal. Aber Adam schluckte nur einmal, dafür aber tiefer. „Gut, ich habe verstanden! Gehen wir.“
Aktualisiert: 2020-11-25
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