Ein Doppelgänger

Ein Doppelgänger von Storm,  Theodor, Zimorski,  Walter
Der Arbeiter John Hansen, auch bekannt als John Glückstadt, hat alles verloren ‒ teils durch eigene Schuld, teils durch soziale Ächtung: Immer tiefer gerät er in einen Strudel von Armut und Gewalt, so dass er schließlich seine Frau tödlich verletzt. Storms sozialkritische Erzählung von 1886 zeigt die Verarmung der Landbevölkerung durch die Industrialisierung, die selbst noch das kleinste private Glück zunichtemacht. Mit Anmerkungen und neuem Nachwort.
Aktualisiert: 2021-11-05
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Draußen im Heidedorf

Draußen im Heidedorf von Storm,  Theodor, Zimorski,  Walter
Textprobe: Es war an einem Herbstabend; ich hatte in der Amtsvogtei ein paar am Mittage eingebrachte Holzfrevler vernommen und ging nun langsam meinem Hause zu. Die Gaserleuchtung war derzeit für unsere Stadt noch nicht erfunden; nur die kleinen Handlaternen wankten wie Irrlichter durch die dunklen Gassen. Einer dieser Scheine aber blieb unverrückt an derselben Stelle und zog dadurch meine müßigen Augen auf sich. Als ich näher gekommen war, sah ich vor dem Wirtshause, wo damals die nach Ost belegenen Dörfer ihre Anfahrt hatten, noch einen angeschirrten Bauerwagen halten; der alte Hausknecht stand mit der Stallleuchte daneben, während die Leute sich zur Abfahrt rüsteten. »Macht fertig, Hinrich!«, sprach es vom Wagen herab; »Ihr habt nun genug gedalbert! Carsten Krüger’s und Carsten Decker’s Frau warten alle Beid’ auf ihre Stunde; es lässt mir nicht Ruh’ mehr.« – Die etwas ältliche Stimme kam von einer breiten, anscheinend weiblichen Person, welche, in Tücher und Mäntel eingemummt, unbeweglich auf dem zweiten Wagenstuhle saß. Ich war unwillkürlich an der Ecke der hier abgehenden Querstraße stehengeblieben. Wenn man stundenlang gearbeitet hat, so sieht man gern einmal die andern Menschen eine Szene vor sich abspielen, und der Knecht hielt die Leuchte hoch genug, dass ich alles bequem betrachten konnte. Neben einer jugendlichen Frauengestalt, deren Wuchs sich auffallend von der gedrungenen Statur unserer gewöhnlichen Landmädchen unterschied, stand ein junger Bauer, dessen blondes krauses Haar unter der Tuchmütze hervorquoll; in der einen Hand hielt er Zügel und Peitsche, mit der andern hatte er die Lehne eines hölzernen Stuhles gefasst, der zum Ausritt an den Wagen gerückt war. Es lag etwas Brütendes in dem Gesicht des jungen Menschen; der breite Stirnknochen trat so weit vor, dass er die Augen fast verdeckte. »Komm, Margreth, steig’ nun auf!«, sagte er, indem er nach der Hand des Mädchens haschte. Aber sie stieß ihn zurück. »Ich brauch’ dich nicht!«, rief sie. »Pass du nur deine Braunen!« »So lass doch die Narrenspossen, Margreth!« Auf diese mit kaum verhehlter Ungeduld gesprochenen Worte wandte sie den Kopf. Bei dem Schein der Leuchte sah ich nur den unteren Teil des Gesichtes; aber diese weichen blassen Wangen waren schwerlich jemals dem Wetter der ländlichen Saat- und Erntezeit preisgegeben gewesen; was mir besonders auffiel, waren die weißen spitzen Zähne, die jetzt von den lächelnden Lippen bloßgelegt wurden. Sie hatte dem jungen Menschen auf seine letzten Worte nichts erwidert; aber nach der Haltung des Kopfes konnte ich annehmen, dass ihre Augen jetzt die Antwort gaben. Zugleich trat sie leise mit einem Fuße auf den Holzstuhl, und als er sie nun umfasste, ließ sie sich weich an seine Schulter sinken, und ich bemerkte, wie ihre Wangen eine Weile aneinander ruhten. Ich sah aber auch, wie er sie nach dem vorderen Wagensitze hinzudrängen suchte; allein sie entschlüpfte ihm und hatte sich im Augenblick auf dem zweiten Stuhl neben der dicken Frau zurecht gesetzt, die jetzt wieder ein »Mach’ fertig, Hinrich, mach’ fertig!« aus ihren Tüchern herausrief. Der junge Bauer blieb noch wie unentschlossen an dem Wagen stehen. Dann zupfte er dem Mädchen an die Kleider: »Margreth!«, stieß er dumpf hervor, »setz’ dich nach vorne, Margreth!« »Viel Dank, Hinrich!«, erwiderte sie laut; »ich sitz’ hier gut genug.« Der junge Mensch riss heftiger an ihren Kleidern. »Ich fahr’ nicht ab, Margreth, wenn du nicht bei mir sitzen willst!« Jetzt bog sie sich über den Rand des Sitzes zu ihm herab; ich sah ein Paar dunkle Augen in dem blassen Antlitz blitzen, und die weißen Zähne wurden wieder sichtbar zwischen den üppigen Lippen. »Willst du dich schicken, Hinrich!«, sprach sie leise, fast wie mit verheißender Zärtlichkeit; »oder sollen wir ein andermal mit Hans Ottsen zur Stadt fahren? Er hat mich oft genug darum geplagt.« Der junge Mann murmelte etwas, das ich nicht verstand; dann sprang er ungestüm zwischen die Pferde durch auf den vorderen Wagensitz, knallte ingrimmig mit der Peitsche und riss in die Zügel, dass die Braunen sich steil in die Höhe bäumten. Und gleich darauf, unter dem Aufschrei der Frauen, rasselte das Gefährt in die Nacht hinaus, dass der Holzstuhl, vom Rade getroffen, zertrümmert auf das Pflaster stürtzte und der alte Hausknecht mit einem »Gott bewahr’ uns in Gnaden« zurücktaumelte und dann scheltend mit seiner Leuchte durch die Haustür verschwand. Wie ein Schattenspiel war alles vorüber; und nachdenklich setzte ich meinen Weg nach Hause fort.
Aktualisiert: 2023-01-31
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Theodor Storm – Drei ausgewählte Novellen

Theodor Storm – Drei ausgewählte Novellen von Büttner,  Wolfgang, Kilian,  Heinz, Storm,  Theodor
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Aktualisiert: 2021-04-01
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