Zur Pflanzenwelt der Neubaugebiete Ost-Berlins

Zur Pflanzenwelt der Neubaugebiete Ost-Berlins von Röhricht,  Wieland
Es ist inzwischen über das Anwachsen der Städte viel Papier beschrieben worden: Über die Prognosen, daß bald die halbe Menschheit in urbanen Gebilden wohnen wird, bestehen kaum Unklarheiten, obwohl ein gegenteiliger Trend in der westlichen Welt ebenfalls spürbar ist: die Stadtflucht. Allerdings erschöpft sich der "Ausbruch" oft schon an der Stadtgrenze, so daß auch der geflohene Städter eben dieses noch ist: ein Städter, wenn auch manchmal ein Vor-Städter, den erst die nächste Eingemeindung wieder in die Stadt zurückholt. Die hier in Rede stehenden Großsiedlungen des komplexen sozialistischen Wohnungsbaus, die Plattenbaugebiete oder Neubausiedlungen, in Stadtrandlage, sind in gewisser Weise nichts anderes als der zentral organisierte Versuch eines solchen Ausbruchs. Weil die individualistische Einfamilienhauspolitik dem sozialistischen Verständnis "Vom Ich zum Wir" entgegenstand (und wegen der ökonomischen Zwänge), war eine Verbesserung der Wohnumstände nur durch die Anlage neuer Großsiedlungen "auf der grünen Wiese" zu lösen. Doch sollten diese in allem schöner, größer, besser und vor allem menschenwürdiger als Bisheriges sein. Das Motto des DDR- Wohnungsbauprogramms war "Jeder Familie eine Wohnung, jedem Familienmitglied einen Raum!": Aus vielerlei Gründen vernachlässigt wurde über dem Neubau allerdings oft die Alt- Stadt, im besonderen die Renovierung der historischen Bausubstanz. So stehen in Ost-Berlin einzelne, aufwendig rekonstruierte Baudenkmale (z. B. Zeughaus, Neue Wache oder St. Hedwigs- Kathedrale), oder einzelne Straßenzüge (z. B. Husemannstraße im Prenzlauer Berg) großen Gebieten gegenüber, die vollständig weggerissen und neu überbaut wurden (z. B. das alte Viertel auf der Fischerinsel) oder die bis heute von den Spuren des Verfalls gekennzeichnet sind. "Ruinen schaffen ohne Waffen" nannten wir das in der DDR. Ein weiteres stadtplanerisches Problem lag in der Negierung vorhandener gesamtstädtischer Planungen. Gerade in Ost-Berlin äußert sich dies im Bau der Großsiedlungen am östlichen Stadtrand. Damit wurden die Chancen verbaut, eine gesamtberliner Bewältigung des Grünproblems nach der prämierten Planung von JANSEN (1910) im Sinne eines "Wald- und Wiesengürtels" zu verwirklichen (vgl. LEESCH & WILKE 1991). Die Lebensansprüche, die mit den neuen Siedlungen verbunden waren, forderten aber eine weiträumige und üppige Begrünung der Neubaugebiete, galt es doch als politisch gewollte und daher einklagbare Errungenschaft, aus der bedrückenden, krankmachenden, licht- und pflanzenlosen Enge "kapitalistischer Mietskasernen" in die freie, gesunde, helle und grüne Weite "sozialistischer Wohnkultur" umziehen zu können. Bis hin zu beheizten Parkbänken und japanischen Gärten steigerten sich die Projektierungen der "Stadt im Grünen" (Beispiel aus Halle (Saale)- Neustadt, vgl. RÖHRICHT 1997). Doch im Gegensatz zu bürgerlichen Bestrebungen einer Gartenstadt, in welcher wenige Familien in grünem Umfeld leben, sollten in unserem Fall große Menschenansammlungen gemeinsam, unter "angenehmen Wohnbedingungen", in "günstigen bioklimatischen Verhältnissen" wohnen (MINISTERIUM FÜR BAUWESEN 1982). Die Realität des täglichen Ringens um Baukapazitäten und Gelder, der Kampf um die Planerfüllung und gegen die Mängel bei der Material- und Ausführungsqualität machte im Endeffekt die Planungen in fast jedem Falle zunichte. Was blieb, war die Einhaltung von Normen, bis hin zur Pflanzenauswahl beim Grünanlagenbau: die industrialisierte Fertigung einer Stadt. Allein die Schaffung von Wohnraum, die "Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem", war noch zu leisten, wobei Wohnen im Sinne von Unterbringung verstanden wurde (PÜTZ 1996). Stadtplanung und Landschaftsarchitektur im klassischen Sinne gab es faktisch kaum noch. LEESCH & WILKE (1991: S. 192) schreiben dazu: "Es bleibt zu konstatieren, daß die stadtplanerische Arbeit selbst und ihre wissenschaftlichen Grundlagen durch die sozialpolitische Forderung zur Lösung der Wohnungsbauaufgabe und die damit verbundene vorwiegend extensive Stadtentwicklung auf Funktionen der Investitionsvorbereitung reduziert wurden. Ihre eigentliche vorsorgliche, funktionell-raumordnende und gestalterische Funktion rückte in den Hintergrund." Daneben führten die Forderungen nach niedrigen Kosten (85 000 Mark pro Wohneinheit), Standardisierung und Industrialisierung in allen Bereichen des Bauwesens, nach hoher Effektivität hinsichtlich der Flächenausnutzung sowie die einheitlichen architektonischen Vorstellungen von der Trennung in Erschließungsräume (Straßenräume) und verkehrsfreie Freiräume (Innenhöfe), voneinander abgegrenzt durch den gemeinschaftlichen Wohnraum (Wohnblock), zu der bis heute charakteristischen Uniformität der Neubaugebiete. Bislang haben die Großsiedlungen ihren eigenwilligen Status behalten. Erst langsam wandeln sich die Neubaugebiete zu Stadt- Teilen mit einer entsprechenden Infrastruktur. Immer noch fehlen Arbeitsstätten in den Siedlungen, der "tertiäre Sektor" ist erst im Aufbau begriffen, und es gibt wenige Bereiche mit Funktionsmischungen (TANK 1993). Das "Schlafstadt"- Image ist noch nicht abgeschüttelt. Immerhin aber sind inzwischen Anfänge für eine Verbesserung der Situation gemacht worden. Für uns tritt damit ein komplexes Problem zu Tage: Die säuberlich getrennten Funktionen in den Siedlungen machen zum einen abhängig von einer funktionierenden Stadttechnik, wie Energieversorgung, ÖPNV, Handel, Kultur u.a., und lösen andererseits Mehrfachfunktionen einzelner Medien auf (im Kopf und dann in der Realität). Da Architektur nicht mehr schön ist, sondern nur noch funktionell, ist "Kunst" nur noch "die Sinfonie" oder "die Plastik". Und da Erholung entweder vor dem Bildschirm oder in der (weit) entfernten Landschaft erlebt wird, ist die Grün- und Freifläche der Siedlung nur noch Abstandsgrün oder Spielplatz. Das Problem der fehlenden Identifizierung mit dem Wohnumfeld, das sich oft in Vermüllung und Vandalismus äußert, ist also nicht nur ein soziales, sondern vor allem in der nicht wahrgenommenen (oder gar fehlenden) Qualität der Grünanlagen als Lebensraum begründet. Hohe Einsehbarkeit, Beschattung oder Windverwirbelungen sowie die einseitig auf "Abpflanzung" ausgerichtete Funktion begründen den fehlenden Erlebniswert solcher Flächen (CHEVALLERIE 1992). Die wahllose Benutzung aller Freiräume, auch der Kinderspielplätze, als Hundeklo, und zwar durch alle sozialen Bevölkerungsschichten, ist dafür nur ein beredtes Beispiel. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß eben die hier behandelten, in industrieller Plattenbauweise errichteten Großsiedlungen, bis auf wenige Ausnahmen, von den biologischen Wissenschaften bis heute nicht als Forschungsobjekt angenommen werden konnten. Die in den Plattenbaugebieten installierten Grünflächen gehörten eben nicht zur "Vegetation", also nicht zur "natürlichen" Lebewelt der Stadt. Sie seien daher allenfalls Gegenstand der Gartenarchitektur oder der Landschaftsplanung, aber nicht der Biologie. Um diese Lücke zu schließen ist die vorliegende Arbeit geschrieben worden. Ob es gelang, bleibt der Entscheidung der geneigten Leser überlassen.
Aktualisiert: 2022-12-14
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