Karen Fritz

Karen Fritz
„Das synthetische Leben ist gewiß eines der möglichen Produkte der Entwicklung der technobürokratischen Kontrolle, ebenso wie die Rückkehr des gesamten Planeten Erde zu einer anorganischen Stufe – ironischerweise – ein anderes der möglichen Resultate dieser selben Revolution ist, die mit der Technologie der Kontrolle zusammenhängt.“ James R. Beniger, The Control Revolution, 1986 It. erratic- es ist unberechenbar. In ihrer multimedialen Installation hinterfragt Karen Fritz technologische naturwissenschaftliche Methoden der Metrik und Iteration. Was wird aus Lebensformen, die berechnet, kalkuliert und auf dieser Basis (re)produziert werden? In einem unterirdischen Raum des Künstlerhauses befindet sich ein futuristisch wirkender Körper, bestehend aus zahlreichen Dreiecken. Die Grundform des Objektes bildet ein Kreis, der an drei Punkten miteinander verbunden wurde. Die Linien treffen sich in einem Mittelpunkt, die Verbindung dieser Eckpunkte hat die Künstlerin ständig wiederholt. Die entstandenen Formen sind aneinandergefügt und bewegen sich fast rhythmisch auslaufend in immer kleiner werdende Anordnungen. Man sieht das Metallskelett, an einigen Stellen ist die Skulptur geöffnet, sie erscheint leicht. Die knochenartigen Stangen sind mit einer Haut aus synthetisch transparenter Folie überzogen. Zarte grüne Linien reihen sich parallel aneinander und bilden die visuelle Membran. Das magentafarbene Licht, welches aus einer an der Innenseite befestigten Leuchtröhre abstrahlt, wird diffusiert und versetzt das Objekt beim Passieren in eine scheinbare Bewegung. Die auf den ersten Blick kühl und steril wirkende Skulptur erscheint bei näherem Kontakt plötzlich organisch. Im Inneren befindet sich eine weitere gefäßartige Pyramide, die Träger einer schwarzen blubbernden Flüssigkeit ist. Ein technisches Gerät bringt den Inhalt zum Kochen. Ein leichter Hauch von Fichtennadeln liegt in der Luft. Die bildhauerische Methode ähnelt dem Prinzip der Iteration; Iteration (von lat. iterare ,wiederholen‘) beschreibt allgemein einen Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung oder ein bestimmtes Ziel. Die Wiederholung knüpft hier an konzeptuelle Überlegungen des Mathematikers Benoit Mandelbrot an. Er gilt als Entdecker der „Fraktale / Mandelbrotmenge“. Brokkoli, Küstenlinien, Sternhaufen lassen sich alle als Fraktale beschreiben. Fraktale sind selbstähnliche Formen, die im Kleinen so aussehen wie im Großen. Erwartbarkeit wird in it. erratic durch diese formale geometrische Struktur suggeriert, aber die manuellen organischen Details stören die selbstreferenziellen Feedbackschleifen. Die glatte maschinische Perfektion wird gebrochen durch Lebendigkeit: Dampf, Geruch, Flackern. Aber Karen Fritz kontrastiert nicht einfach organische mit maschinischen Formen, sondern thematisiert unsere anthropozentrische Kontingenz im Umgang mit Umwelt, Natur und Ökosphäre. Die Fichtennadeln zum Beispiel sind in unserem alltäglichen Gebrauch stereotype und fetischisierte Fragmente, die pars pro toto für den Wald stehen. Ihr Geruch entspannt und imaginiert Bilder von lauschiger unberührter Naturerfahrung. Sie sind zu funktionalen Artefakten geworden, die wir in unseren Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparat eingepasst haben. Dieser Fakt wird offensiv genutzt, der Geruch des eingekochten Konzentrats ist eine domestizierte Naturerfahrung, die technisch in Gang gesetzt wird und sich mit der anorgischen Skulptur verbindet. Die Videoperformance in den Wald gehen um zu reden verbindet sich auf interessante Weise mit dem oflaktorischen Input des Fraktalekörpers. Auch hier befinden wir uns mittels digitalem Bild in einem scheinbaren Naturraum. Es ist eine Schneise in einem mitteleuropäischen Wald zu sehen, die vermutlich für die Instandsetzung von Strommasten entstanden ist. Das Szenario erinnert an einen Moment eines Waldspaziergangs. Die Kamera ist statisch und befindet sich am unteren Ende eines Pfades, die Perspektive steigt zu einem zentralen Strommast auf. Am Firmament taucht eine kleine, immer größer werdende Person auf, die auf die Kamera zurennt und plötzlich dort zum Stehen kommt. Die Person ist Karen Fritz selbst, in Unschärfe geraten durch die Nähe zur Kamera spricht sie außer Atem eine Art Kurzprosa, in der sie Gedankenketten und Wortfragmente aneinanderreiht, die von dem Wunsch und Bedürfnis handelt sich mit anderen Menschen zu verbinden. Die Performance ist in Zeiten von Covid 19 entstanden, das Scheitern und die Sehnsucht nach Konnexion und Nähe sind hier enthalten. Die Objektiv beschlägt von dem warmen Atem, die Umgebung wird diffus und verliert ihre feinen Details. Der Mensch befindet sich in einem Hybridraum zwischen Natur und Technik, diese beiden Komponenten sind in dem Video auf feinsinnige Weise miteinander verschränkt. In den Wald gehen um zu reden, die Ambiguität dieses Satzes fragt nach den vermeintlichen Ursprüngen unseres Menschseins. Es gibt keinen statischen, metrischen Ort, an dem wir uns (selbst)begegnen und unsere Verstrickungen mit den verschiedenen Gefügen auflösen könnten. Unsere Lebendigkeit ist nicht bloß eine separierte biologische Vitalfunktion, die in der perfekten Reproduktion von sich selbst zum Ausdruck kommt, sondern sie existiert in den Brüchen, den Verweigerungen und den dynamischen Prozessen, die in letzter Konsequenz unberechenbar bleiben (müssen). Das Phantasma einer vollständig determinierten und kontrollierbaren Welt, wie es uns in zeitgenössischen Technologievorhaben und Wissenschaften begegnet, zwingt Lebensformen in Echoräume ihrer Optimierung und Effizienz. Jede Information muss analysiert, valorisiert und in Zirkulation gebracht werden. Wenn man diese Datensätze als Fraktale betrachtet wäre ihr profitabler Wert unerschöpflich. Diese Algorithmisierungen laufen demnach immer Gefahr die Offenheit von Prozessen ihrer Steuerbarkeit zu unterwerfen. Lebensformen sind keine komplexe Fossilien, sondern befinden sich in Prozessen des Werdens, die sich nicht in maschinischen Protokollen von 0 und 1 einschließen lassen. Karen Fritz setzt in it. erratic Überlegungen und Erfahrungen aus ihrer bisherigen Werkreihe Dynamisch-Kontingentes Elemente System (2018-2021) fort. Sie versteht die Lebendigkeit und Eigensinnigkeit von Lebensformen nicht in einer a priori gegebenen Autonomie, sondern eben genau in dem Wechselspiel von Kontingenz und Zufall. Machtverhältnisse von Mensch, Technik, Wissenschaft und Umwelt stehen sich nicht isoliert gegenüber, sondern beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Das Zulassen der Widerständigkeit von Material und Technik, die Stimulation von offenen Prozessen, ermöglicht demnach erst Handlung. Die Diffusion sowie der Dunst, wie sie in Formen von Staub und Wasserdampf auftreten, vernebeln die kalte Klarheit einer hyperrationalisierten Welt. Sie stören und machen die subtilen Störungen erst sichtbar. Das Klare ist nur eine fragwürdige Redundanz des Unterschiedenen.(Sarah Nieke)
Aktualisiert: 2021-06-03
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