Antikes Leben

Antikes Leben von Hartmut Broszinski Birgit Kümmel Jürgen Wolf
Im 18. Jahrhundert wurde die Identifikation mit antiker Kultur und Geisteshaltung zu einem bestimmenden Moment des Lebens in ganz Europa. Die sensationellen Berichte von der Entdeckung untergegangener Städte rund um den Vesuv – Pompeji, Herculaneum – faszinierten die Menschen. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich ein reger Antikentourismus. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, wallfahrte nach Neapel, an den Vesuv, nach Sizilien oder sogar nach Griechenland. Wem dies nicht gelang, der beschaffte sich die entsprechenden Reiseberichte, Fachbücher, Bildbände bzw. am besten gleich die Fundstücke selbst. Auch die Waldecker Fürsten Carl August Friedrich und seine Frau Christiane sowie deren Kinder Friedrich, Georg und ihr Bruder Prinz Christian August wurden von diesem ‚Antiken-Bazillus’ infiziert. Ein großer Fundus an Texten und Kupferstichen mit der Antike als Thema oder als Objekt zeugt in der Arolser Hofbibliothek von dieser Begeisterung und Leidenschaft auch und gerade im Fürstentum Waldeck. Textausgaben, Bild- und Kartenwerke, Reisebeschreibungen, wissenschaftliche Abhandlungen, Chroniken, aber auch belletristische Antikenromane, das Altertum idealisierende Schriften, pseudoantike oder antikisierende Musikstücke und literarische Sittengemälde vermittelten das Ideal jener vergangenen Epoche. Monumentale Bildbände wie die Reihe der ‚Voyages Pittoresques’ waren außerdem dazu geeignet, auf hohem wissenschaftlichen und künstlerischen Niveau ein perfektes Bild der untergegangenen Hochkultur zu simulieren. Auffallend ist die erstaunliche Anzahl von Textausgaben antiker Klassiker wie Homer, Vergil und Ovid, und zwar solche in den Originalsprachen und in Übersetzungen ins Französische, Englische und Deutsche. Dabei zeichnete sich der jüngste der drei Brüder, Fürst Georg, durch sein besonderes Interesse an damals aktuellen hochkarätigen Editionen aus. Aber auch die wissenschaftliche Diskussion etwa über das Übersetzen antiker Texte, die in literarischen Zeitschriften entbrannt war, wurde bei Hofe aufmerksam verfolgt, was Benutzungsspuren an den Zeitschriftenbänden belegen. All das war selbstverständlich am Fürstenhof in Arolsen präsent. Spuren der Antike fanden sich bald überall im Fürstentum: in der Erziehung, der Staatskunst, der Philosophie, der zeitgenössischen Musik, der Kleidung, der Möblierung und nicht zuletzt im Denken der Menschen. Aber die waldeckischen Fürsten nahmen die Antike nicht nur in Büchern und Bildern für sich in Anspruch, sondern besuchten auch selbst die historischen Stätten. Schon Fürst Carl bereiste Italien. Gemeinsam mit seiner für ihre Liebe zur Literatur, Kunst und Naturgeschichte weit über die Grenzen Waldecks hinaus bedeutenden Gemahlin Christiane gab er diese Begeisterung an seine Kinder weiter. Möglicherweise spielte dabei auch eine Rolle, dass bereits im frühen 16. Jahrhundert der Waldecker ‚Kleinhumanist’ Klüppel herausgefunden haben wollte, dass die Waldecker letztlich von Alexander dem Großen abstammten- es ist kaum verwunderlich, dass Alexanders Taten in jeder erdenklichen Variante und Ausgabe in der Hofbibliothek vorhanden sind – darunter sogar mittelalterliche Handschriften wie der um 1300 geschriebene „Waldecker Alexander“. Jedenfalls gelang es den Söhnen Friedrich, Georg und Christian mehr noch als den Eltern das Ideal ganz handgreiflich in Besitz zu nehmen, indem sie in noch größerem Stil Klassiker, Berichte über Ausgrabungen, Bildbände über Fundstücke und zu Sammlungen der Antike sowie Münzen und Bronzen erwarben oder klassizistische Gemälde und Skulpturen in Auftrag gaben. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem leidenschaftlichen Antikensammler Prinz Christian August zu. Ohne die Bürde der heimischen Regierungsgeschäfte konnte Christian, seines Zeichens österreichischer General und ab 1797 Generalfeldmarschall von Portugal, seine Liebe zur Antike in praktisches Tun, sprich: Reisen, verwandeln. Er besichtigte gleich mehrfach die Ausgrabungsstätten und konnte dort durch weitgefächerte Freundschaften, insbesondere mit Ferdinand IV., dem König beider Sizilien, viele echte – aber auch einige gefälschte – Fundstücke an sich bringen. Beim Kauf zahlreicher Preziosen war Johann Heinrich Wilhelm Tischbein behilflich. Zu literarischen Ehren gelangte Prinz Christian durch seine Bekanntschaft mit Johann Wolfgang von Goethe im Winter 1787. Auf seiner fünften großen Italienfahrt traf sich Christian sowohl in Rom als auch in Neapel mit Goethe und Tischbein. Wie wir aus Goethes Italienischem Tagebuch und den Briefen entnehmen können, verfolgte er den Dichterfürsten auf der Suche nach „edlem Altertum“ geradezu. Die Begegnung mit Goethe hinterließ bei Prinz Christian einen so tiefen Eindruck, dass er ‚seinen Freund’ Goethe im Treppenhaus des Residenzschlosses sichtbar vor Augen haben wollte , und zwar einen ‚antiken’ Goethe. Christian gab bei dem seit 1776 in Rom niedergelassenen Schaffhauser Bildhauer Alexander Trippel eine Büste nach dem ‚Apollo-Typus’ in Auftrag. In seiner Italienischen Reise berichtet der Dichterfürst ausführlich von der Entstehung. Zum 12. September 1787 heißt es mit einem bewundernd-schelmischen Unterton: „Meine Büste ist sehr gut geraten; jedermann ist damit zufrieden. Gewiß ist sie in einem schönen und edlen Stil gearbeitet, und ich habe nichts dagegen, daß die Idee, als hätte ich so ausgesehen, in der Welt bleibt.“ Überwältigt von den authentischen Erfahrungen während seiner Reisen sammelte Christian alles, was er aus, über und zur Antike erlangen konnte. Zusammen kam eine beeindruckende Sammlung von über 700 Bronzen und einigen Arbeiten aus Marmor, ein ansehnliches Münzkabinett und eine beeindruckende Zahl von Büchern. Nach seinem Tod musste vieles wegen gewaltiger Schulden verkauft werden, aber Christians „Antike“ konnten seine gleichfalls begeisterten Brüder für Waldeck retten, wo sich heute noch manches in den Fürstlichen Sammlungen befindet beziehungsweise zur Ausstellung im Residenzschloss Arolsen aus weltweit bedeutenden Museen dorthin zurückkehren wird.
Aktualisiert: 2020-11-18
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