Pro cura animarum. Mittelalterliche Pfarrkirchen an Rhein und Ruhr

Pro cura animarum. Mittelalterliche Pfarrkirchen an Rhein und Ruhr
Vorwort Für Christen war von Anfang an die Versammlung als Gemeinde und damit als Gemeinschaft der Gläubigen von grundlegender Bedeutung für ihre Lebens- und Glaubenspraxis. Von der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem (Apg. 2,42-47) über die Missionsgemeinden des Völkerapostels Paulus in Ephesus, Korinth und Rom entwickelten sich im Römischen Reich während des 4. Jahrhunderts christliche Stadtgemeinden auch in den römischen Provinzen des linken Rheinlandes, beispielsweise in Bonn, Köln und Xanten. Nach dem Zerfall des Römischen Reiches kam es in der Epoche der Völkerwanderung zu ersten christlichen Missionierungsphasen im rechten Rheinland und an der Ruhr. Dass das sich über weite Strecken entlang der Ruhr ausdehnende das Bistum Essen vergleichsweise jung ist, bedarf eigentlich nicht eigens der Erwähnung: Erst 1957 wurde es durch Papst Pius XII. kanonisch errichtet. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es in jenem Raum, über den sich die Diözese heute erstreckt, nicht lange vorher schon Christen und christliche Gotteshäuser gab. Einzelne Missionare mögen hier bereits während des sehr frühen Mittelalters gewirkt haben; und spätestens mit den Truppen Karls des Großen kamen im Verlauf der Sachsenkriege (772-804) Geistliche in etwas größerer Zahl nach Westfalen. Mönche und Weltpriester wirkten in Klöstern beziehungsweiseKirchen. Gerade in Essen weiß man das gut, denn auf Essener Stadtgebiet liegt ja heute das 799 durch den als Heiligen verehrten Ludger errichtete Kloster Werden. In zahlreichen Siedlungen des Hellwegraums entstanden nach und nach zahlreiche Gotteshäuser unterschiedlichen Rechtsstatus’. Mit den wenigen Spuren der ersten Pfarrorte, die man aus dieser frühen Phase der „Germanen-Mission“ kennt, haben sich seit dem Aufblühen der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert verschiedene Forscher beschäftigt und dabei auchmehr oder weniger tragfähige Modelle von Mutter- oder Ur-Pfarreien entwickelt. Diese ersten Ergebnisse fanden Niederschlag in den Handbüchern der „Mutterbistümer“ Köln, Münster und Paderborn und anschließend auch in den beiden Handbüchern des Ruhrbistums Essen von 1960 und 1974. Doch dank des Aufblühens der Archäologie und der (Früh-) Mittelalterforschung an den Universitäten im Ruhrgebiet und anderswo sowie bei den beiden Landschaftsverbänden in Nordrhein-Westfalen sind in den letzten 50 Jahren zahlreiche differenzierte Ergebnisse zu den frühen christlichen Gemeinden an Rhein und Ruhr vorgelegt worden. Hier ist nun nicht der Ort, einen detaillierten Überblick über die Pfarreiforschung zu geben. Nur drei Aspekte sollen angesprochen werden. Erstens: Christinnen und Christen wurden unter der Führung von Priestern in Pfarreien zusammengefasst. „In der Pfarrgemeinde“, so schrieb Gerd Tellenbach 1988, „vollzog sich am dichtesten das Leben des Christen. In ihr empfing er die Taufe, feierte den Gottesdienst, nahm an der Eucharistie teil, unterzog sich der Kirchenbuße, leistete Oblationen und Abgaben, betete mit für das irdische und ewige Heil, hoffte auf die Fürbitte seiner Mitchristen vor und nach dem Tod und erhielt seine letzte Ruhestätte“. So war die Pfarrei gleichsam eine Schnittstelle zwischen Gott, der Kirche und der Welt. Doch sie war noch mehr: Sie war – zweitens – auch Modell wie Substrat der Gemeindebildung auf dem Land und in der Stadt. Gerade dort wurde sie zum „Knotenpunkt städtischen Lebens und stadtbürgerlicher Selbstorganisation“, wie Werner Freitag 2011 zu Recht schrieb. Pfarreien wurden zum Ferment, also einem vorwärtstreibenden, beschleunigenden, gärenden Element, geistlichen wie weltlichen sowie dörflichen, städtischen und regionalen Lebens. Pfarreien strukturierten und prägten als kirchliche, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zentren historische Räume – so auch den mittelalterlichen Hellwegraum. Drittens und schließlich: „Im Mittelalter entstanden, zählt die Pfarrei zu den wenigen damals ausgebildeten Einrichtungen, die heute noch existieren. Sie hat sich seit der Karolingerzeit entwickelt und ist ein historisch gewachsenes Institut von offensichtlich langer Dauer“. Dies hob Wolfgang Petke 2013 hervor. Man kann es auch anders formulieren: Pfarreien waren und sind so etwas wie tragende, gleichsam diachrone Balken eines Raumes – Traditionslinien, welche die lange, aber oft übersehene vorindustrielle Zeit des Ruhrgebiets mit dessen industrieller Phase verbinden und so für Kontinuität im Wandel sorgen. Es verwundert daher nicht, dass Pfarreien gerade in der jüngeren Forschung, auch unabhängig von deren jeweiliger wissenschaftstheoretischer Verankerung und Perspektive, Interesse finden. Das belegen zahlreiche Sammelbände: Beispielhaft zu nennen sind hier etwa derjenige von 2008, der unter dem Titel „Pfarreien im Mittelalter“ die Beiträge eines Kolloquiums des nicht mehr existierenden Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte vereint, oder aber der 2013 publizierte Tagungsband „Die Pfarrei im späten Mittelalter“ aus der Reihe der „Vorträge und Forschungen“. Hinzu kommen noch „Die Pfarre in der Stadt“ aus der in Münster herausgegebenen Reihe ‚Städteforschung’ (von 2011) und – wegen des Ortsbezugs – das 2009 publizierte Werk „Frauenstifte, Frauenklöster und ihre Pfarreien“ der „Essener Forschungen zum Frauenstift“. Gerade vor dem Hintergrund der im Bistum Essen anstehenden „Zukunftsperspektiven“, welchedie während des 19. und 20. Jahrhunderts im Ruhrgebiet außerordentlich angewachsene Zahl der Gemeinden und Pfarreien angesichts der starken Rückgänge bei Diözesanen und Priestern wieder auf wenige „Großraum-Gemeinden“ zurückzuführen, zeigensich Kontinuität und Aktualität der Pfarrentwicklung vom frühen Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Noch vor dem Beginn der Ausstellung „Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“ (vom 27. März bis 23. August 2015 im Essener RuhrMuseum) hat sich das seit seiner Stiftung im Jahre 1976 besonders der mittelalterlichen Forschung verbundene Institut für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen in den Räumen des Medienforums der Aufarbeitung dieser Forschungsthematik am 7. März 2015 auf einer gut besuchten wissenschaftlichen Tagung unter dem Titel „Pro curaanimarum. Mittelalterliche Pfarrkirchen im Bistum Essen“ gestellt. So konntewenigstens an ausgewählten Beispielen eine Aufarbeitung der vielfältigen Einzelergebnisse und des breiten aktuellen Forschungsstandes von überregionalen wie lokalen Fachleuten gemeinsam geleistet werden. Die Tagung wurde mit einem Grußwort des Essener Weihbischofs Wilhelm Zimmer eröffnet. Die insgesamt sieben Vorträge widmeten sichzwei Themenschwerpunkten.Die drei Beiträge des ersten Blocks beschäftigten sich einführend mitallgemeinen und räumlich übergreifenden Aspekten.Vier weitere Beiträge behandelten anschließend – von West nach Ost, vom Rhein den Lauf der Ruhr zurückverfolgend – speziell die Kirchorte [Duisburg-] Hamborn, Essen mit Werden, Wattenscheid und [Bochum-] Harpen und berücksichtigten gesamte das Mittelalter von 10. bis zum 16. Jahrhundert mit seiner beginnenden Konfessionalisierung. Begonnen wurde der erste, räumlich übergreifende Teil von Rudolf Schieffer mit einem Überblick über die Anfänge des Pfarrwesens in der Karolingerzeit. Wolfgang Petke behandelte anschließend die Begriffe „Urpfarrei“ und „Pfarreinetz“. Sodann stellte Gabriele Isenberg „Entstehung und Entwicklung der Kirchenlandschaft im Ruhr-Hellwegraum“ vor. Den zweiten Teil eröffnete Pater Ludger Horstkötter mit einem Blick auf die Pfarreien Beeck, Meiderich und Walsum auf dem Stadtgebiet des heutigen Duisburg. Ihm folgte Stefan Leenen, der die ältesten Pfarrkirchen und Kapellen in Essen und Werden aus der Perspektive eines Archäologen darstellte. Die Entwicklung von Pfarrei und Landdekanat Wattenscheid umriss Stefan Pätzold. Am Schluss der Tagung erlaubte Dieter Scheler tiefe Einblicke in das aus dem 16. Jahrhundert stammende Inventar des Harpener Pfarrers Heinrich Stoedt. Tagungsbeiträge können freilich Themen nur schaglichtartig beleuchten. Eine vollständige und systematische Beschäftigung mit den mittelalterlichen Pfarreien und ihren Gotteshäusern steht noch aus. Ein solches Handbuch, orientiert etwa an dem Paradigma der Klosterbücher verschiedener Regionen, fehlt zum Ruhr-Hellwegraum; ob es je entstehen wird, bleibt dahingestellt. Die vorgetragenen Beiträge sowie ein weiterer aus der Feder von Cordula Brand und Detlef Hoppüber „Archäologisch untersuchte Gräber im Umfeld der Kirchenbauten im Essener Stadtgebiet“ wurden hingegen von der Referentin und den Referenten binnen eines halben Jahres für den Druck vorbereitet. Dabei half dankenswerterweise Frau Marlies Haastert vom Essener Institut für kirchengeschichtliche Forschung, die zuvor schon effizient bei der Vorbereitung der Tagung mitgewirkt hatte. Die Publikation der Aufsätze ermöglichten Dr. Ulrich Helbach und Dr. Joachim Oepen, der Direktor bzw. stellvertretende Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, die den so entstehenden Band in die von ihnen herausgegebene Reihe „Studien zur Kölner Kirchengeschichte“ aufnahmen. Sie taten dies im Bewusstsein, dass weite Teile desjenigen Raumes, über den sich heute das Bistum Essen erstreckt, im Mittelalter zur Kölner Erzdiözese gehörten. Dafür gebührt beiden großer Dank. Die Drucklegung wurde vom Landschaftsverband Rheinland, dem Institut für Kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen und der Kölner ChoC-Stiftungfinanziell gefördert. Auch dafür danken die Herausgeber herzlich – und bringen diese Veröffentlichung in den im Bistum Essen begonnenen Prozess „Zukunft aktiv gestalten“ ein. Bochum/Essen, am 1. Advent 2015 Stefan Pätzold, Reimund Haas
Aktualisiert: 2023-02-07
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