Geist oder Mechanik

Geist oder Mechanik von Caruso,  Marcelo
Die Organisation des elementaren Schulunterrichts in Jahrgangsklassen stellt ein umfassendes Ordnungsangebot für die Bevölkerung moderner Gesellschaften dar. Die allgemeine Durchsetzung dieses Organisationsprinzips wurde häufig als lineare Erfolgsgeschichte präsentiert, bei der sich eine vermeintlich eindeutige technologische Rationalität in der Systematisierung von unterrichtlichen Interaktionen und FInteraktionen und Führungstechniken durchgesetzt habe. Eine historisch-vergleichende Untersuchung der Rezeptionsverläufe des «wechselseitigen» oder «monitorialen» Unterrichts nach Bell und Lancaster zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen, in den damals dänischen Herzogtümern Schleswig und Holstein und in Spanien zeigt jedoch beträchtlich variierende Selektionen und Umdeutungen auf. Unter den Stichworten «Geist» und «Mechanik» werden kulturell distinkte Optionen herausgearbeitet, die bei der Akzeptanz von Technologieangeboten für das Klassenzimmer historisch wirksam geworden sind.
Aktualisiert: 2020-09-01
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Ein Lehrer und tausend Schüler

Ein Lehrer und tausend Schüler von Stratenwerth,  Wolfgang
Im Zentrum des Buches steht das von Joseph Hamel, deutsch-russischer Staatsbeamter und Mitglied der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, verfasste und im Jahre 1818 in deutscher Sprache in Paris erschienene Werk über den „gegenseitigen Unterricht“. Joseph Hamel dokumentiert darin ein Schul- und Unterrichtssystem, das der schottische Geistliche Dr. Andrew Bell 1797 im Militärwaisenhaus von Madras „erfunden“ hatte und das wenig später von dem Quäker Joseph Lancaster 1806 in ähnlicher Form in seiner Schule im Londoner Stadtteil Southwark entwickelt wurde. Das Grundprinzip der beiden Innovationen ist eine extreme Verlagerung der üblicherweise einem Lehrer vorbehaltenen Erziehungs- und Lehrtätigkeiten auf fortgeschrittene Schüler (Monitoren). Die Funktion des „Lehrers“ beschränkt sich darauf, das Gesamtsystem des Unterrichts organisatorisch einzurichten, zu überwachen und funktionsfähig zu halten. Durch die Übertragung der Lehrerfunktionen auf Monitoren war es in Verbindung mit einem komplexen, perfekt geplanten Arrangement von didaktisch-methodischen Maßnahmen möglich, einen Massenunterricht für bis zu 800–1.000 in einem einzigen und entsprechend großen Lehrsaal versammelte Schüler unter der Aufsicht nur eines Lehrers durchzuführen und den Schülern in kürzester Zeit, mit hoher Lerneffizienz und minimalem Kostenaufwand das Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, religiöses Wissen zu vermitteln und sie in moralisch-sittlicher Hinsicht zu bilden. Sich mit Hamels Werk zu beschäftigen ist aus mehreren Gründen interessant und reizvoll: 1. Das von Hamel dargestellte monitoriale System des „gegenseitigen Unterrichts“ (Bell-Lancaster-System) gehört zu den spektakulärsten Didaktik-Entwürfen, die in der Geschichte der Pädagogik jemals verwirklicht worden sind. 2. Hamel dokumentiert das englische Unterrichtssystem in einer so umfassenden und detaillierten Weise, wie es von keinem anderen Autor geleistet worden ist. 3. Interessant und bemerkenswert ist auch der konkrete Entstehungshintergrund des Werkes: Hamel hat seine Dokumentation im Auftrage des russischen Zaren Alexander I. angefertigt. Seine Befunde und gutachtlichen Bewertungen des englischen Unterrichtssystems haben entscheidend zur Entstehung und Weiterentwicklung der russischen Lancasterschulbewegung beigetragen. 4. Ebenso besonders spannend und aufschlussreich ist schließlich die Biografie des Autors. Der 1788 in der Herrnhuter Brüdergemein Sarepta an der Wolga geborene und 1862 in London während eines Besuches der Weltausstellung gestorbene Arzt, Naturforscher und Technologe Joseph Hamel gehört sicherlich zu den interessantesten Forscherpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es waren nicht zuletzt diese Gründe, die auch Stratenwerth motivierten, sich mit Hamels Werk auseinanderzusetzen, dessen vielfältige Entstehungsgeschichte zu rekonstruieren, es in die russische Lancasterschulbewegung einzuordnen und darüber hinaus eine aufwendige biografische Recherche durchzuführen. Zum Aufbau des Buches Eingeleitet wird das Buch mit einem instruktiven Überblick über das von Hamel dokumentierte Bell-Lancaster-System. Er vermittelt zusammen mit dem ausführlichen Vorwort die Orientierungsgrundlage für das in Teil II abgedruckte Werk von Hamel über den gegenseitigen Unterricht. Mit der sich anschließenden detaillierten Biographie über Joseph Hamel erhält der Leser einen Einblick in den Entstehungskontext des Werkes und das soziokulturelle Umfeld des Autors. Neben einer Rückschau auf Hamels Leben und seinen beruflichen Werdegang wird die Frage nach seinem „Beruf“ gestellt, seine Arbeit als Wissenschaftler und Forscher betrachtet und sein pädagogisch relevantes Wirken herausgestellt. Ergänzend dazu werden eine Zusammenstellung der von Hamel publizierten Schriften und eine Aufzählung seiner Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien aufgeführt. Die Beleuchtung der Person Joseph Hamel endet mit einem Exkurs über die Herrnhuter Gemeine Sarepta an der Wolga, in der Hamel aufgewachsen ist und auch seine berufliche Erstausbildung als Apotheker erhalten hat. In einem systematisch strukturierten Teil IV wird die russische Lancasterbewegung dargestellt, in die Hamel und sein Werk einzuordnen sind. Von den Anfängen der russischen Lancasterschulbewegung, über die Gründung und Situation der Lancasterschulen unter der Regierung von Zar Alexander I. und Nikolaus I. bis hin zum allmählichen Auslaufen der russischen Lancasterbewegung wird hier die historische Entwicklung detailliert nachgezeichnet. Wegen ihrer turbulenten Entwicklungsverläufe ist die russische Lancasterbewegung zugleich ein aufschlussreiches Beispiel für die vielfältigen Verflechtungen von Elementarschul-Bildung und den jeweils herrschenden politisch-ideologischen Machtpositionen. Mit einem ausführlichen Überblick über Rezeption und Umsetzungsversuche des englischen Systems in Deutschland werden in Teil V die Informationen über das Bell-Lancaster-System abgerundet. Ein umfangreiches Verzeichnis der zitierten einschlägigen Literatur am Ende des Buches gibt Anregungen zu weiterführender Lektüre.
Aktualisiert: 2019-12-30
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Geist oder Mechanik

Geist oder Mechanik von Caruso,  Marcelo
Die Organisation des elementaren Schulunterrichts in Jahrgangsklassen stellt ein umfassendes Ordnungsangebot für die Bevölkerung moderner Gesellschaften dar. Die allgemeine Durchsetzung dieses Organisationsprinzips wurde häufig als lineare Erfolgsgeschichte präsentiert, bei der sich eine vermeintlich eindeutige technologische Rationalität in der Systematisierung von unterrichtlichen Interaktionen und FInteraktionen und Führungstechniken durchgesetzt habe. Eine historisch-vergleichende Untersuchung der Rezeptionsverläufe des «wechselseitigen» oder «monitorialen» Unterrichts nach Bell und Lancaster zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen, in den damals dänischen Herzogtümern Schleswig und Holstein und in Spanien zeigt jedoch beträchtlich variierende Selektionen und Umdeutungen auf. Unter den Stichworten «Geist» und «Mechanik» werden kulturell distinkte Optionen herausgearbeitet, die bei der Akzeptanz von Technologieangeboten für das Klassenzimmer historisch wirksam geworden sind.
Aktualisiert: 2023-04-06
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