Bruce Lee

Bruce Lee von Hägele,  Werner
Jeder Kampfkunst-Fan, ob jung oder alt, kennt Bruce Lee. Obwohl bereits 1973 verstorben, wird ihm noch heute weltweite Wertschätzung durch viele Kampfkunst-Experten entgegengebracht. Selbst seine Gegner müssen anerkennen, dass er sich bleibende Verdienste sowohl in der Fortentwicklung der Kampfkunst als auch in der Choreografie filmischer Kampfszenen erworben hat. Mit seinen Kung Fu-Filmen drängte er in den 1970er-Jahren nicht nur den japanischen Samurai-Film in den Hintergrund, sondern verschaffte dem bis dahin weitgehend unbekannten chinesischen Kung Fu globale Beachtung. Durch seine Filme avancierte Bruce Lee zum Weltstar und zur Ikone des Kung Fu, der in Ost und West gleichermaßen bekannt war. Ungeachtet allen Ruhms und persönlicher Eitelkeit war es ihm jedoch zeitlebens ein echtes Anliegen, das vorurteilsbeladene Negativbild vom „Chinesen“ in der westlichen Welt zu verbessern. Der Hype, der nach seinem frühen Tod ausbrach, wurde durch die Vermarktungsstrategie seiner Witwe Linda Lee gezielt gefördert. Auch die Filmindustrie versprach sich gewinnbringende Absatzzahlen durch Rückgriff auf seine anhaltende Berühmtheit. In rascher Folge erschienen viele Kung Fu-Filme, in denen Bruce Lee nicht nur imitiert und sein Name im Filmtitel geführt wurde, sondern mit Bezeichnungen wie „Dragon“, „Fury“, „Todeskralle“ und „Fist“ bewusst Assoziationen zu seinen Filmen hergestellt wurden. Zahlreiche Bücher, Comics und Kampfkunst-Magazine sowie einige Filme befassten sich mit seinem Leben und Werk. Viele seiner Anhänger scheuten sich nicht, ihn auf eine Stufe mit Muhammad Ali, Elvis Presley oder James Dean zu stellen. Durch die kommerzielle Beschlagnahme wurden Wahrheit und Fiktion über Bruce Lee untrennbar ineinander verschränkt. Insbesondere sein rätselhafter Tod verstärkte diese Tendenz. Kritische Stimmen wurden durch die posthume Kult-Hysterie seiner Bewunderer zumeist übertönt. Vor allem seine Witwe Linda und deren Hauptbiograf John Little ließen nichts unversucht, Bruce Lee und sein Werk positiv zu verklären, was Joe Lewis und andere Weggefährten verwundert zur Kenntnis nahmen. Als wirkungsvollste Gegenströmung gegen Bruce Lees anhaltende Vermarktung und Verklärung erwies sich die angloamerikanische Wissenschaft, die begann, sich kritisch vor allem mit seinen Filmen auseinanderzusetzen. Seitdem gibt es verstärkt Anstrengungen, die Mythen-Konstruktionen um seine Person einer unvoreingenommeneren Analyse zu unterziehen. In der deutschen (Sport-)Wissenschaft fand bislang die Auseinandersetzung mit seinem Œuvre so gut wie nicht statt. Das Gleiche gilt für das chinesische Kung Fu, das aufgrund der politischen Isolation Chinas jahrzehntelang kaum Beachtung fand. Eine bevorzugte Stellung konnten dadurch die japanisch-koreanischen Kampfkünste in Deutschland erlangen. Erst in den letzten Jahren setzte ein breiter sportwissenschaftlicher Diskurs über die Besonderheiten der asiatischen Kampfkünste im Vergleich zum westlichen Kampfsport ein. Doch obgleich Bruce Lee die Weiterentwicklung der Kampfkünste in den 1960er-Jahren maßgeblich beeinflusst hat, verhinderte die durch die deutsche Filmzensur vorgenommene Verurteilung des Gewaltpotenzials in seinen Filmen bis heute eine ernsthafte Beschäftigung mit seinem Werk. Mit der vorliegenden Abhandlung wird Bruce Lee als Kampfkünstler und Filmschaffender gewürdigt, der durch seine Genialität, aber auch durch seine Widersprüchlichkeit Furore gemacht hat. Soweit dies möglich ist, wird versucht, dem Kult-Rummel um seine Person kritisch zu begegnen. Ferner wird die Ansicht vertreten, dass seine Kampf- und Filmkunst hinlänglich nur verstanden werden können, wenn seine Lebensgeschichte angemessen mit einbezogen wird. Großen Einfluss auf Bruce Lees Persönlichkeitsentwicklung hatten seine Kindheit und Jugend in der Kronkolonie Hongkong (1940-1959). Dort lebten die britischen Besatzer und weißen Geschäftsleute weitgehend separat neben den einheimischen Chinesen und abertausenden chinesischen Festland-Flüchtlingen. Eine entscheidende Wende bekam sein Leben in Amerika (1959-1971). Dort führten die anhaltenden Proteste um mehr Gleichberechtigung und Selbstbestimmung Mitte der 1960er-Jahre zu sozialen Unruhen mit zum Teil bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen. Diese gesellschaftlichen Turbulenzen tangierten auch sein Leben und vertieften die Polarität seiner Persönlichkeit im Spannungsfeld zweier völlig verschiedener Kulturkreise. Der erste Kampfstil, den Bruce Lee als Jugendlicher in Hongkong lernte, war Wing Chun. Auf der Suche nach der ultimativ besten Kampfkunst (für den Straßenkampf) vereinte er in Amerika die effizientesten Techniken und brauchbarsten Stilelemente in seiner Jun Fan Gung Fu-Kampfkunst. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wendete er sich von der bloßen Technik-Optimierung ab und hob die innere Vervollkommnung und Zen-buddhistische Läuterung in der nun als Jeet Kune Do betitelten Kampfkunst hervor. Oberstes Ziel war fortan, in Eigenregie und jenseits institutionalisierter Vorgaben die Erleuchtung zu erlangen. Zu klären galt es, inwieweit der extreme Individualismus und rigorose Anti-Institutionalismus, den Bruce Lee in seiner Jeet Kune Do-Kampfkunst vertrat, aufrechterhalten werden können. Daran schlossen sich Überlegungen an, ob und inwieweit sich eine für den Straßenkampf konzipierte Kampfkunst für den beschwerlichen Weg zur Buddhaschaft eignet. Nicht uninteressant war in dem Zusammenhang auch die Frage, inwieweit Bruce Lee sein eigenes Leben nach jenen Idealen ausrichtete, die er als Vermächtnis in das philosophische Fundament seiner Kampfkunst eingeschrieben hat. Auch die Filmkarriere von Bruce Lee begann in Hongkong, wo er als Kinder- und Jugendschauspieler in zahlreichen Filmen mitwirkte. Als er in Hollywood Ende der 1960er-Jahre nur Nebenrollen als Action-Darsteller erhielt, kehrte er enttäuscht nach Hongkong zurück. Dort stieg er mit drei Kung Fu-Filmen für das Golden Harvest Studio zum frenetisch umjubelten Leinwandstar in Ost- und Südostasien auf. Aufgrund des überwältigenden Erfolgs dieser Filme bot ihm Hollywood die Hauptrolle in einer Ost-West-Koproduktion an. Auch dieser Film errang innerhalb kürzester Zeit weltweiten Erfolg. Weniger durch seine schauspielerischen Leistungen als durch die Brillanz seiner Kampfchoreografien stand Bruce Lee am Beginn einer Weltkarriere, als er völlig unerwartet starb. Bei der Einzelbesprechung seiner Filme wird zuerst deren Plot ausführlich dargestellt. Danach wird anhand der Analyse der Kämpfe das Spektakuläre, Revolutionäre, aber auch verstörend Gewalttätige in seinen Kampfchoreografien thematisiert. Zuletzt wird, zumindest partiell, durch Hintergrundinformationen zum kulturhistorischen Kontext der Filme verdeutlicht, warum ein durch die westliche und japanische Kolonialpolitik leidgeprüfter Asiate seine Filme Anfang der 1970er-Jahre mit ganz anderen Augen wahrnahm als ein Westler, dem Land und Leute völlig fremd waren.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Annäherungen an den >post< modernen Sport

Annäherungen an den >post< modernen Sport von Hägele,  Werner
Die Aufsatzsammlung “Annäherungen an den ›post‹modernen Sport” greift mit wechselnden Themenstellungen die strukturellen Veränderungen auf, die seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer nachhaltigen Transformation des traditionellen Erscheinungsbildes von Gesellschaft und Sport geführt haben. Bei aller Differenz weisen die vier Beiträge dennoch – wenn auch unterschiedlich gewichtet – inhaltliche wie formale Gemeinsamkeiten auf. Beitragsübergreifend konzipiert sind sowohl die enge Verzahnung und wechselseitige Abhängigkeit von gesellschaftlicher und sportlicher Entwicklung als auch von modernem und postmodernem Sport. Ferner steht nicht die destruktive Postmoderne mit ihren Schattenseiten im Fokus des Erkenntnisinteresses, sondern ihre anspruchsvolle Variante, die – zumindest implizit – die Frage aufwirft, welche Vorgaben an den Sport der Zukunft zu richten sind, um mehr Hoffnungen als Ängste bei den Menschen zu wecken. Insbesondere wird der Versuch unternommen, das vielschichtige Theorien-Konstrukt der Postmoderne, welches in den 1980er Jahren durch die französische Philosophie nachhaltig geprägt wurde, auf den Gegenstandsbereich des Sports zu übertragen. In Deutschland wurde die gehaltvolle französische Variante des Postmodernismus lange Zeit entweder ignoriert, heftig kritisiert oder fand, wenn überhaupt, verzerrt Beachtung (vgl. Deleuze, 1993, S. 144). Die (später revidierte) Kritik von Habermas (1988) verdeutlicht dies anschaulich, der befürchtete, dass das Projekt der Moderne durch die tendenziell anti- und prämoderne Theorieausrichtung des Postmodernismus (in der Tradition von Nietzsche und Wittgenstein) ernsthaft gefährdet sei. Im Gegenzug warfen viele Postmodernisten ihren (modernistischen) Kritikern vor, sie würden ihre Texte voreingenommen und ohne die erforderliche Sorgfaltspflicht lesen, was die unverhältnismäßige Häufung von Fehldeutungen erkläre (vgl. Reijen & Veerman, 1989, S. 126). Der anhaltende Disput zwischen Modernisten und Postmodernisten hat mittlerweile nicht nur viele Vorurteile abgebaut, sondern auch zur Klärung und Weiterentwicklung der Grundpositionen des Postmodernismus geführt, ohne allerdings die generelle Reserviertheit der Kontrahenten zu beseitigen. In der Sportwissenschaft trug der lange Zeit prekäre Status des französischen Postmodernismus mit dazu bei, dass dessen Erkenntnispotenzial, abgesehen von wenigen Ausnahmen, kaum wahrgenommen wurde. Dieses Defizit zu beseitigen und Verständnis für eine der innovativsten geistigen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte zu wecken, war nicht zuletzt ein grundlegendes Anliegen in allen vier Beiträgen. Im ersten Beitrag “Reflexionen zur Postmoderne und das Schweigen der Sportwissenschaft” rückt die Verständnisfrage ins Zentrum der Ausführungen. Auf der Basis des Erkenntnisgehalts so unterschiedlicher Autoren wie Lyotard, Derrida und Baudrillard wird versucht, den Begriff einer anspruchsvollen Postmoderne zu definieren. Zu dessen herausragenden Merkmalen können insbesondere die fortschreitende Pluralisierung, Ästhetisierung und Medialisierung der gegenwärtig sich konstituierenden Informationsgesellschaft gezählt werden. Um idealisierte Übergeneralisierungen zu vermeiden, dürfen jedoch die den Begriffskern umlagernden dysfunktional-destruktiven Strukturmerkmale der eklektischen Indifferenz, des narzisstischen Ästhetizismus sowie der krebsartig wuchernden Hyperrealisierung nicht außer Acht gelassen werden. Auf diese Merkmale berufen sich insbesondere jene Kritiker des Postmodernismus, die im Extrem dazu tendieren, “posthistoiresche” Katastrophen- und Endzeit-Szenarien zu entwerfen, wie dies Baudrillards Œuvre eindrucksvoll bekundet. In der Anwendung des postmodernen Theoriedesigns auf das materiale Feld des Sports zeigt sich, dass die herkömmlichen Denkmodelle in der Sportwissenschaft zur Überfavorisierung von Integration und Holismus neigen. Hingegen werden Themenstellungen wie Patchwork-Identität, Paralogie oder widerstreitende Gerechtigkeit weitgehend ausgegrenzt. Offenkundig wird, dass ein epochaler Gesellschaftsumbruch mit den Mitteln der Klassiker-Exegese nur unzureichend erschlossen werden kann. Das verstärkte Nachdenken über adäquate Theorie-Modelle ist unverzichtbar. Die Sozialphilosophie der Postmoderne liefert in dieser Hinsicht eine Fülle wertvoller Anregungen. Ihre Stärken liegen in der kritischen Hinterfragung sakrosankter Wahrheiten und ihrem resoluten Eintreten für mehr Freiheit, Glück und Selbstverwirklichung der Menschen. Ihre Schwächen offenbaren sich in ihrem Hang zur Polarisierung und krassen Überfavorisierung von Differenz, Dissens und Kultur bei gleichzeitiger Vernachlässigung, gar Ausklammerung von Einheit, Konsens und Natur in ihrem Theoriedesign. Im zweiten Beitrag “Soziale Differenzierung, Individualität und Sport” wird die Individualisierungsthese zum sozialen Differenzierungstheorem in Beziehung gesetzt: Danach beruht die Individuation der Individuen primär auf der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Hierzu werden die Aussagen von G. Simmel herangezogen, der neben Durkheim zu den frühen Vertretern der Differenzierungstheorie zählt. Für Simmel löste der epochale Wandel von der ständischen Agrargesellschaft zur modernen Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert nicht nur eine fortschreitende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Subsystembildung aus, sondern befreite die Individuen gleichzeitig aus der Enge stratifizierter Korporationen. Für Spiel und Leibesübungen zog dies die allmähliche Herauslösung aus Brauchtum und Kult der Feudalgesellschaft nach sich sowie deren schrittweise Institutionalisierung und Integration in den Turnverein bzw. deutschen Turnerbund. Zur Geltung kam hierbei eine kollektivistische Individualität, die sich stärker durch normative Rollenkonformität, Disziplin und Ordnung auswies als durch den Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung. Erst die Ablösung des formalistisch-nationalistischen Turnsystems durch den olympischen Sport im 20. Jahrhundert mit seiner stärkeren Akzentuierung von individueller Leistung und Wettkampf relativierte das vorherrschende hierarchisch-normative Menschenbild grundlegend. Dennoch blieb im Vereinsleben in (West-) Deutschland bis in die Spätmoderne der 1960er Jahre ein vorwiegend altruistisch ausgerichteter Moralkodex verhaltensrelevant. Erst die wachsende Kritik am überkommenen Traditionalismus in Gesellschaft und Sport löste einen grundlegenden Wertewandel aus. Dieser wurde vorangetrieben durch die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzende Globalisierung, Medialisierung und Enträumlichung der gesellschaftlichen Strukturen. Dadurch wurden jene institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen, welche die reflexive Rollentheorie mit ihrem selbstbestimmten Menschenbild seit jeher forderte. Im Sport schlug sich diese Entwicklung nicht nur in einem erheblichen Größenwachstum nieder, sondern auch in einer nicht unproblematischen Entgrenzung seines durch Turnen (19. Jh.) und Olympismus (20. Jh.) geprägten Selbstverständnisses. Der Individualisierungsschub, den insbesondere die neuen Outdoor- und Trendsportarten auslösten, beförderte den Sportler viel nachdrücklicher zum reflexiven Gestalter seines Verhaltens als jemals zuvor. Ein Irrtum wäre es allerdings anzunehmen, der selbstbestimmte “Sporthopper” wäre weniger anfällig für fremdbestimmte Vermassung und kulturindustrielle Manipulation. Realiter dürfte stets ein Mixed aus beiden Komponenten vorliegen, jeweils abhängig vom sozialen Kontext sowie – nicht zuletzt – der Entscheidungskraft des Einzelnen. Im dritten Beitrag “Nationalität, Weltgesellschaft und Sport” wird die Globalisierungsproblematik thematisiert. Kraft seiner Souveränität und sozialen Ordnungsfunktion oblag es dem Nationalstaat in der Moderne, den gesellschaftlichen Institutionen und korporativen Verbänden den notwendigen Halt und hinreichende Integration zu gewährleisten. Kosmopolitische Visionen wie Kants Völkerbunds-Konzeption erlangten erst Ende des 19. Jahrhunderts konkretere Gestalt, als die Renaissance transnationalen Gedankenguts zur Gründung einer Vielzahl von internationalen Beziehungen führte. Dies erklärt, warum sich im 19. Jahrhundert der philanthropische Kosmopolitismus von Guts Muths gegen die Gemeinschaftsideologie des Jahn’schen Turnens allenfalls bedingt behaupten konnte. Hinzu kommt, dass sich die Turnerschaft als Teil einer Nationalbewegung verstand, die ihr Selbstverständnis überwiegend aus der Treue zu Volk und Vaterland ableitete. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich der Internationalismus des Sports – gegen den anfänglich heftigen Widerstand der deutschen Turnerschaft – immer stärker durch und transportierte mit Coubertins Olympismus ein liberaleres, selbstbestimmteres Menschenbild, das allmählich die Oberhand gewann. Bis in die Spätmoderne der 1960er Jahre finden sich dennoch viele Spuren der nationalistischen Turnbewegung, wie etwa die hohe Wertschätzung der Deutschen für Nationalmannschaft und Ländervergleichswettkämpfe. Eine weltweite, massenmediale Kommunikation konnte sich erst in der Postmoderne durchsetzen, als mit Handy, Computer und Internet die erforderliche Technologie zur Verfügung stand. Erst diese technologischen Errungenschaften ermöglichten die sprunghafte Zunahme globaler Sozialkontakte auf Kosten lokaler und nationaler Verbindungen. Verfechter einer transnationalen Weltgesellschaft beurteilen die gegenwärtigen Entnationalisierungstendenzen indessen nicht als strukturelle Auflösung, sondern als Neudefinition nationalstaatlicher Kompetenzen unter globalen Vorzeichen. Extrem monistischen Weltstaats-Entwürfen stellen sie das Glokalisations-Theorem gegenüber, das die unaufhebbare Dialektik von weltlicher Konvergenz und lokaler Differenz ausdrücklich bejaht. Der Wachstumsschub, den der postmoderne Sport erfuhr, schlug sich zum einen in der Transnationalisierung seiner Verbände sowie der weltweiten medialen Präsenz seiner Großveranstaltungen (insbesondere der Olympischen Spiele) nieder. Zum anderen erlangte er innerhalb weniger Jahrzehnte den Status einer Weltkultur, deren Normen, Werte und Symbole über alle nationalen Grenzen hinweg von Milliarden Menschen geteilt werden. Gleichzeitig wuchs die Gefahr der Hegemonialisierung des Weltsports durch die Dominanz des westlich-agonalen Sportverständnisses. Auf lokaler Ebene des Sports wiederum wurde der Einfluss des Nationalismus durch die wachsende Bedeutung des professionellen Vereins- und Ligasports merklich zurückgedrängt, was sich an der zunehmend multikulturellen Rekrutierung der Spieler, Trainer und Manager unschwer ablesen lässt. Dennoch ist die Bedeutung von Nation und Nationalmannschaft bei sportlichen Großveranstaltungen nach wie vor ungebrochen. Höchst fragwürdig ist daher, ob und inwieweit der globale Weltsport künftig seine kosmopolitischen Visionen nachdrücklicher wird umsetzen können als in der Vergangenheit. Gegenwärtig scheint eher zuzutreffen, dass die seit seinen Anfängen viel beschworene humanitäre Leitidee der Würdigung der Person des Athleten über alle nationalen und sonstigen Gegensätze hinweg im Medaillen-Ranking der Nationen zu ersticken droht. Im vierten und letzten Beitrag “Leichtathletik im Schulsport der Postmoderne” werden aus der Perspektive einer Sportart jene Probleme aufgegriffen, die der postmoderne Wertewandel in Schule und Schulsport ausgelöst hat. Dem Trend zur Profilierung und stärkeren Autonomisierung des Schulsystems konnte sich die Schulleichtathletik ebenso wenig entziehen wie dem Ruf nach stärkerer Akzentuierung von erziehendem Unterricht und wertebesetzter Bildung. Doch erst die nachlassende Beliebtheit und wachsende Konkurrenz durch die boomenden Trend- und Erlebnissportarten sowie die anhaltende Kritik an der traditionell einseitigen Hervorhebung von Wettkampf, objektiver Leistung und normierten Techniken bewirkten in den 1990er Jahren eine grundlegende Revision ihres Selbstverständnisses. Inwieweit die Öffnung der Schulleichtathletik für mehr Spiel, Vielfalt und Schülerorientierung jedoch tatsächlich eine hoffnungsvolle Zukunft verspricht, wird anhand gegenwärtiger Trends diskutiert. Und es werden Hypothesen formuliert, wie eine wünschenswerte Zukunft aussehen könnte. Auch wenn die Schulleichtathletik in der Vergangenheit vorwiegend einem sportartimmanenten Erziehungsmodell verpflichtet war, muss sie künftig an der Institution Schule ihre unaufhebbare Interdependenz mit dem pädagogischen Erziehungs- und Bildungsauftrag stärker als bisher zur Kenntnis nehmen. Trotz Aufwertung von Spiel, Erlebnis und Kurzweil darf dies nicht zur Verteuflung von Leistung, Arbeitsmoral und Wetteifer führen, vielmehr kann sie durch die Bejahung eines intrinsisch motivierten Leistungsverständnisses ihren Teil zur Förderung einer positiven Leistungskultur in Schule und Schulsport beitragen. Die kritische Auseinandersetzung mit der glitzernden Show- und Medienwelt der “großen Leichtathletik” ist hierzu unerlässlich. Angesichts der krankmachenden Entkörperlichung unserer Kinder scheint die Förderung einer “kleinen Leichtathletik” immer dringlicher zu werden, die – im Verbund mit Turnen und Schwimmen – die elementare Grundmotorik des Laufens, Werfens und Springens vermittelt. Die Überwindung der einseitigen Leistungs- und Wettkampforientierung zugunsten der Mehrdimensionalität ihrer Strukturen ist daher keineswegs abwegig, sondern kann zumindest bedingt mithelfen, die körperlichen Defizite unserer Kinder zu kompensieren. Zwar läuft die unkontrollierte Bejahung von Pluralität und Vielfalt in der Postmoderne stets Gefahr, in Beliebigkeit und Indifferenz auszuarten. Sofern die Schulleichtathletik jedoch bereit ist, alle Neuerungen hinsichtlich ihrer Identitäts- und Systemverträglichkeit einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, lässt sich eine systemgefährdende Diffusion durchaus vermeiden. Trendsetter des neuen, poppigeren, bunteren und lockeren Sports sind nicht Schule und Sportverein, sondern der jugendliche Straßen- und Szenensport. Keineswegs abwegig ist daher die Überlegung, ob künftig nicht Versatzstücke des außerschulischen Szenensports in die Schulleichtathletik integriert werden sollten. Nicht “fit for fun” darf hierbei die oberste Maxime sein, sondern die produktive Balance von spontanem Spaßerlebnis und anspruchsvollem Üben und Trainieren. Hinzu kommt, dass weniger normative Sozialformen und Rollenbilder den Alltag des postmodernen Sports bestimmen, als vielmehr die individuelle Wahl- und Bastelmentalität seiner Protagonisten. Ohne einem grenzenlosen Liberalismus zu verfallen sollte die Schulleichtathletik daher mehr offene, spontane und reflexive Didaktikelemente in ihren Unterricht einfließen lassen. Nicht zuletzt bedürfen zukunftsweisende Schulkonzepte auch der tatkräftigen Mitwirkung durch die universitäre Leichtathletik, die ihr Selbstverständnis nicht länger nur aus einer theoriearmen Praxisausbildung, sondern verstärkt aus fachwissenschaftlichen Themenstellungen beziehen sollte. Literatur Deleuze, G. (1993): Unterhandlungen. 1972-1990. Frankfurt/M. Habermas, J. (1988): Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Welsch, W. (Hrsg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim, S. 177-192. Reijen, W. van & Veerman, D. (1989): Die Aufklärung, das Erhabene, Philosophie, Ästhetik. Interview mit Jean-François Lyotard. In: Reese-Schäfer, W.: Lyotard zur Einführung. Hamburg, S. 111-159.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Kampfkunst in China

Kampfkunst in China von Hägele,  Werner
Die ostasiatischen Kampfkünste erlangten in den letzten Jahrzehnten eine enorme Verbreitung in der westlichen Welt. Ausgelöst wurde dieses Phänomen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die um sich greifende Postmodernisierung und Globalisierung der Welt, die Ost und West miteinander verband, wie niemals zuvor. Den ostasiatischen Kampfkünsten kam dabei zugute, dass die 1968er Studentenbewegung und die Flower-Power-Generation der 1970er Jahre in Amerika und Europa bei ihrem Protest gegen das Establishment sowie bei ihrer Suche nach alternativen Lebensformen bevorzugt im süd- und ostasiatischen Kulturkreis fündig wurden. Im Sport des Westens sorgten die gesellschaftlichen Veränderungen seit Ende der 1970er Jahre dafür, dass neben dem traditionellen Leistungs- und Wettkampfsport der postmoderne Trend- und Outdoorsport entstand. Zu den ersten postmodernen Trendsportarten, die sich im Westen etablieren konnten, zählten die japanisch-koreanischen Kampfkünste. Gleichzeitig gelang dem chinesischen Kung Fu durch Bruce Lee der massenmediale Durchbruch. Doch nur den japanisch-koreanischen Kampfkünsten gelang es, sich im Sportsystem des Westens erfolgreich zu behaupten. Hingegen blieben die chinesischen Kampfkünste, trotz ihres hohen medialen Bekanntheitsgrades, im praktischen Übungsbetrieb für ein breites Publikum weitgehend unbekannt. Zurückzuführen ist dies auf die jahrzehntelange politische Isolation der Volksrepublik China unter Mao Zedong. Erst durch die West-Öffnung Chinas durch Deng Xiaoping seit Ende der 1970er Jahre und dem Aufstieg Chinas zur globalen Wirtschaftsmacht nahm auch das Interesse des Westens an den chinesischen Kampfkünsten in Theorie und Praxis merklich zu. Als übergeordnetes Leitmotiv liegt den drei Essays das Bemühen zugrunde, die Bedeutung und historische Dimension der chinesischen Kampfkünste dem Leser näherzubringen. Keine ins Detail gehende Chronologie der chinesischen Kampfkünste wird angestrebt, wohl aber wird deren Entwicklung vom chinesischen Altertum bis zur Neuzeit in groben Zügen umrissen. Im Mittelpunkt der Erörterungen stehen nicht Technik und Taktik in Kampf und Training, sondern die Bestimmung jener soziokulturellen Faktoren, die das Selbstverständnis der chinesischen Kampfkünste jahrhundertelang geprägt haben. Eine Schlüsselposition nehmen hierbei die Lehren von Konfuzius und Laotse sowie der taoistische und Chan-buddhistische Weg der Läuterung ein. Im ersten Essay „Soziokulturelle Einflüsse in den chinesischen Kampfkünsten unter besonderer Berücksichtigung von Schamanismus, Konfuzianismus, Taoismus und Chan-Buddhismus“ wird die vorherrschende Gleichsetzung der Kampfkünste mit dem Weg der Erleuchtung in der japanisch-koreanischen Kampfkunst-Literatur in Frage gestellt. Stattdessen wird die These vertreten, dass der tiefste Urgrund auch der ostasiatischen Kampfkünste in der Bipolarität von gewaltorientiertem Kampf (auf Leben und Tod) und geselligem Kampf (zur bloßen Unterhaltung) liegt. Um- und überlagert wird diese basale Urschicht durch jene philosophischen und religiösen Werte- und Glaubenssysteme, die die Sonderheit in den chinesischen Kampfkünsten bedingen. Die Kerngedanken dieser Philosophien und Religionen werden zunächst allgemeintheoretisch abgehandelt, ehe in einem Zweitschritt ihre Relevanz für die chinesischen Kampfkünste thematisiert wird. Die gewaltbetonte, aggressive Seite in den Kampfkünsten basiert einerseits auf zahllosen Kriegen und Aufständen in der Geschichte Chinas, andererseits auf der Notwendigkeit, sich gegen Räuberbanden verteidigen zu müssen. Daneben gelang es der unterhaltend-geselligen Seite der Kampfkünste, sich frühzeitig in der chinesischen Kultur zu etablieren. Der Einfluss des Schamanismus in den chinesischen Kampfkünsten lässt sich bis zur Shang-Dynastie (16.-11. Jh. v. Chr.) zurückverfolgen. Bereits die Wu-Schamanen kannten offenbar Ansätze der späteren „Formen“ („taolu“). Auch die Tierimitationen können auf sie rückdatiert werden. Viele Mythen und Legenden in China weisen einen wuistisch-magischen Hintergrund auf und wurden ein beliebtes Motiv in den Kampfkunst-Choreographien der Hongkonger Filmindustrie. Die Sitten- und Staatslehre von Konfuzius (um 551-479 v. Chr.) hat wie keine andere politische Theorie die Kultur Chinas geprägt. Ihr Einfluss in den chinesischen Kampfkünsten ist dennoch eher marginal. Dies mag daran liegen, dass das Bildungsideal des edlen Weisen („junzi“) vorwiegend auf die Elite des Landes beschränkt blieb und diese sich im zweiten Jahrtausend den Künsten zuwendete. Hingegen zählten noch bei Konfuzius die praktischen Fertigkeiten, namentlich die Kampfkünste, zum festen Bestandteil seines Erziehungsprogramms. Konträr zum konfuzianischen Kulturalismus vertritt der philosophische Taoismus von Laotse (um 6. Jh. v. Chr.) und Zhuang Zhou (um 4. Jh. v. Chr.) einen Naturalismus, der in der Leere des Tao die Einheit und Vielfalt der Welt begründet sieht. Um diese Leere in sich und allen Dingen wahrnehmen zu können, bedarf es der Hinwendung zu einem einfachen, ungekünstelten Leben. Hingegen ist überall dort, wo soziokulturell vermittelte Geschäftigkeit sowie Egoismus und Sinneslust dominieren, der Weg des Tao verstellt. Daher gelte es, durch weitgehendes Nicht-Handeln („wu-wei“) den Geist und die Gefühle von allen negativen Einflüssen zu befreien. Wie keine andere Lehre prägte der Taoismus die chinesischen Kampfkünste. Oberstes Ziel der vom Taoismus beeinflussten Kampfkünste ist jedoch nicht die geschmeidige Bewegungsperfektion, sondern eine darüber hinausweisende Läuterung zu einem „wahrhaften Menschen“. Der religiöse Taoismus erweiterte das Konzept der natürlich-kosmischen Ordnung des Tao um ein Pantheon an Göttern, Geistern und Dämonen und verbreitete die Hoffnung, dass ein wahrhaft geläuterter Mensch Eingang ins Paradies ewiger Glückseligkeit finden könne. Zur späten Han-Zeit (24-220 n. Chr.) überwog noch der Bezug zur äußeren Alchemie und deren Versuchen, Unsterblichkeit mit Hilfe von Elixieren herstellen zu wollen. Seit der Tang-Dynastie (618-906) setzte sich jedoch die innere Alchemie immer stärker durch und damit das Bestreben, mittels Meditation und der größtmöglichen Aufnahme der Lebenskraft „qi“ wahrhafte Läuterung zu erlangen. Die mystisch-religiöse Durchdringung der Kampfkünste, insbesondere in den militanten Geheimgesellschaften, ging mit magisch-alchemistischen Praktiken und Zauberritualen einher. Andererseits fanden heilkundliche Praktiken wie Akupunktur und Akupressur Aufnahme in den Kampfkünsten. Insbesondere erlangte die Tiefenatmung durch Rückgriff auf die Lebenskraft „qi“ eine herausragende Bedeutung. Dem Chan-Buddhismus, einer Sekte des Mahayanismus, gelang es seit dem 6. Jh. n. Chr. in China Fuß zu fassen. Vom Taoismus übernahm er die Konzeption von der „Leere des Tao“ als dem wahren Sein aller Dinge. Ferner transferierte er Nirvana von einem jenseitig-paradiesischen zu einem diesseitigen, urplötzlich auftretenden Ereignis. Als Geburtsstätte des Chan-Buddhismus sowie der von ihm beeinflussten harten Kampfkünste gilt das Shaolin-Kloster. Berühmt wurde das Kloster durch seine Kampfmönche, die vornehmlich in der Ming-Dynastie (1368-1644) mithalfen, das Land gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen. Danach schwand der Rückhalt des Chan-Buddhismus in der chinesischen Bevölkerung, während er in Japan die Kultur und Kampfkunst der Samurai tief geprägt hat. Im zweiten Essay „Annäherung an die chinesischen Kampfkünste aus westlicher Sicht“ werden nicht, wie in der Fachliteratur sonst üblich, die vermeintlich unüberwindlichen Gegensätze zwischen östlicher Kampfkunst und westlichem Kampfsport herausgestellt. Ausgangspunkt ist vielmehr die These, dass trotz aller Unterschiede Gemeinsamkeiten bestehen, die im Zweikampf als kulturübergreifendem Lebensphänomen begründet sind. Gewöhnlich sorgen in einem Zweikampf kooperativ-mäßigende Strukturelemente dafür, dass er nicht eskaliert. Bei einem ergebnisorientierten Zweikampf nimmt jedoch die Gefahr, dass die assoziativen Elemente durch Dissonanz und destruktives Verhalten be- und verdrängt werden, umso mehr zu, je wichtiger der Sieg für die Akteure wird. Eher Partner denn Gegner sind die Kämpfenden hingegen im Kampfspiel, in dem die Kurzweil und der Spaß der Protagonisten, nebst der in China langen Tradition der Unterhaltung von Zuschauern, das vordringliche Ziel sind. Auch der Zweikampf unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der bio-kulturellen Ko-Evolution. Als Folge des evolutiven Überlebenskampfes der Menschheit mag eine gewisse Disposition für Kampf und Widerstreit ins genetische Inventar unserer Gattung übergegangen sein. Gleichzeitig ist die Rückkopplung der genetischen mit der kulturellen Evolution unaufhebbar. Die Unterschiede zwischen chinesischer Kampfkunst und westlichem Kampfsport liegen hauptsächlich darin, dass die chinesische Kultur über zwei Jahrtausende vorwiegend durch konfuzianische und taoistisch-buddhistische Wertvorstellungen geprägt wurde, die westliche Kultur hingegen primär durch griechisch-römische und jüdisch-christliche Werte. Im Besonderen unterscheiden sich die chinesischen Kampfkünste vom westlichen Kampfsport durch die Imitation von Tierbewegungen sowie dem Rückgriff auf ritualisierte „Formen“. Erklären lässt sich die hohe Wertschätzung der Tierimitationen aus der großen Nähe zwischen Mensch und Tier im Schamanismus, aber auch im Taoismus und Buddhismus. Hingegen wurden die Grundlagen für die „Formen“ spätestens durch die Konfuzianer gelegt, die den ekstatischen Tanz ihrer Vorfahren in einen strengen Formalismus der Bewegungen überführten. Typisch für die chinesischen Kampfkünste sind ferner ihre enge Verbindung mit der Lebenskraft „qi“ und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Basierend auf der Annahme, dass Dysbalancen und Blockaden des „qi“ im Körper zu Krankheit und Tod führen, dienten atemkontrollierte Gymnastikübungen dazu, „qi“-Ungleichgewichte im Körper zu beseitigen. Traditionell weisen die Bewegungen bei diesen Qigong-Übungen nicht nur eine hohe Affinität mit den Bewegungen in den Kampfkünsten auf, vielmehr dienten diese seit alters her auch der Gesundheitsvorsorge. Bezüglich des Anspruchs edler Selbstvervollkommnung in und durch die Kampfkünste weist die konfuzianische Konzeption des „junzi“ die größte Ähnlichkeit mit Wertvorstellungen auf, die im Westen dem olympischen Kampfsport zugeschrieben werden. Konträr hierzu zielt das Vollkommenheitsstreben im philosophischen Taoismus darauf ab, Harmonie und Einklang mit dem Tao als dem Urgrund allen Seins zu erlangen. Auf ähnliche Weise gilt es im Chan-Buddhismus zum nirvanischen Ich in der kosmischen Leere der Buddha-Natur vorzustoßen. Zur Eigenart eines Chinesen zählt auch, dass er trotz des Strebens nach Vollkommenheit eines konfuzianischen „junzi“, taoistischen Weisen oder Chan-buddhistischen Erleuchteten ein pragmatisches Verhältnis zu den Geistern, Göttern und Bodhisattvas unterhält, die er im Volksglauben in großer Zahl vorfindet. Insbesondere in den militanten Geheimgesellschaften und Sekten gingen die Kampfkünste eine enge Verbindung mit der Welt der Geister und Götter ein. Die häufige Überlegenheit des Feindes sowie Restriktionen durch den Staat boten den idealen Nährboden für den Glauben an übernatürliche Mächte, deren Unterstützung im Kampf erhofft wurde. Im dritten Essay „China im Umbruch und die Folgen für die Kampfkünste“ wird die Zeit vom Ende des Kaiserreichs (1911) bis zur Gegenwart thematisiert. Eingeleitet wurde das Ende der Qing-Dynastie (1644-1911) im 19. Jahrhundert durch mehrere verlorene Kriege gegen die europäischen Kolonialisten sowie gegen die Japaner, die im Landesinneren mit zahlreichen politischen Unruhen und Aufständen einhergingen. Durch die Beteiligung vieler Geheimbünde und Freikorps im Kampf teils gegen die Staatsmacht, teils mit ihr gegen die europäischen Eindringlinge, erlangten die Kampfkünste einen großen Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig breitete sich das westliche Sportverständnis im Einzugsbereich der von den Europäern besetzten Küstenstädte allmählich aus. Die republikanische Ära (1912-1949) lässt sich als Richtungskampf konservativer und progressiver Kräfte um das „neue China“ umschreiben. Nach der Machtübernahme durch die Kuomintang-Partei (1928) artete diese Auseinandersetzung zum Bürgerkrieg zwischen Chiang Kai-sheks Nationalisten und den Kommunisten aus, der mit Mao Zedongs Sieg (1949) endete. Die Kampfkünste konnten sich während der Republikzeit noch relativ gut behaupten. Überwiegend betonten sie das beharrende, vergangenheitsorientierte Moment. Dennoch griff die Diskussion um das westliche Sportverständnis auch innerhalb der Kampfkünste um sich. Mit Gründung der Volksrepublik China (1949) vollzog Mao Zedong nach sowjetischem Vorbild die Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft. Insbesondere mit Hilfe der Kulturrevolution (1966-1976) verschärfte er die Verfolgung der bürgerlichen Traditionalisten und Revanchisten. Für die Kampfkünste änderten sich mit der staatlich verordneten Einführung des sowjetischen Sportsystems seit Anfang der 1950er Jahre die sozialen Rahmenbedingungen grundlegend. Fortan breitete sich die westliche Art des Kämpfens flächendeckend über ganz China aus. Trotz der staatlich verordneten Sportausrichtung blieben die traditionellen Kampfkünste jedoch im nicht-organisierten, ländlichen Bereich sowie als Mittel der Gesundheitsvorsorge zumindest bei den Älteren weitgehend erhalten. Konträr zu Mao Zedongs rigorosem Dogmatismus leitete der Pragmatiker Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre eine Modernisierung der chinesischen Gesellschaft ein, indem er die „sozialistische Marktwirtschaft“ einführte sowie die Öffnung Chinas nach Westen vorantrieb. Dadurch gelang es China bis Anfang des 21. Jahrhunderts, zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Die Kampfkünste profitierten von der Reformpolitik Dengs und seiner Nachfolger insbesondere durch deren liberalere Einstellung zu Tradition und Religion, die seit den 1980er Jahren einen massenhaften Zulauf zu Tai Chi Chuan und Qigong auslöste. Im Kampfsport wiederum ermöglichte Dengs West-Öffnung eine Erweiterung des zentralistisch ausgerichteten Sportsystems um nichtstaatliche Elemente der Sportselbstverwaltung. Seit 2013 betreibt Staats- und Parteichef Xi Jinping indes eine Politik der Re-Ideologisierung Chinas, die auch für die traditionellen Kampfkünste und den Kampfsport in China nicht folgenlos bleiben dürfte.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Individualisierung und Körperkultur in nationaler Moderne und globaler Postmoderne

Individualisierung und Körperkultur in nationaler Moderne und globaler Postmoderne von Hägele,  Werner
Die Individualisierungsthese wird in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert. Basis des Disputs ist, welche Konsequenzen aus der anhaltenden Herauslösung der Individuen aus den traditionellen Sozialbeziehungen zu ziehen sind. Generell fristet der Einzelne in Familie, sozialer Klasse und Nation nicht länger ein alternativloses Dasein, sondern ist für sein Leben in wachsendem Maße selbst verantwortlich. Die Befürworter dieser Entwicklung begrüßen die Zunahme an individueller Wahlfreiheit auf Kosten sozialer Gängelung. Hingegen beklagen ihre Gegner einen Kult des Individualismus und wenden sich vehement gegen die Gefahren der Entsolidarisierung und des Eigennutzes. Der Pluralisierung der Lebensstile begegnen sie mit einer Zerfallsdiagnose des Sozialen, während ihre Kontrahenten hoffen, dass die Individuen ihre Chance ergreifen werden und als Baumeister ihrer eigenen Biographie auftreten. Eingebettet ist die Individualisierungsthese in die Thematik des gesellschaftlichen Umbruchs und der Ablösung der modernen Arbeits- und Industriegesellschaft durch die postmoderne Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Mehr noch, Individualisierung und Postmoderne bedingen sich gegenseitig. Daher ist das Aufzeigen des soziokulturellen Epochenwandels für deren tieferes Verständnis unverzichtbar. Zwar lassen sich erhebliche begriffliche und inhaltliche Differenzen nachweisen, dennoch besticht die relative Konvergenz der Zeit- und Gesellschaftsanalysen so unterschiedlicher Autoren wie Bell, Touraine, Inglehart, Beck, Giddens, Schulze und Lyotard. Mitte der 1980er Jahre erzwangen die Auswirkungen des allgemeinen Wertewandels eine sportwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der wachsenden Individualisierung, Pluralisierung und Binnendifferenzierung des Sports. Maßgeblichen Anteil an diesen Reflexionsanalysen hatten Digel, Rittner sowie der DSB-Kongress „Menschen im Sport 2000“. Als Träger des neuen Sportverständnisses erwiesen sich jedoch nicht der Vereins- und Verbandssport, sondern Fitnessstudios, alternative Sportgruppen sowie die generelle Renaissance von Körper, Fitness und Ästhetik. Der organisierte Sport, von den Ereignissen eher mitgerissen denn Leitfigur der Bewegung, folgte schließlich dem allgemeinen Trend einer Postmodernisierung der Gesellschaft durch vielfältige Assimilationen seines traditionellen Selbstbildes. Kaum thematisiert wurde in der Sportwissenschaft bislang die Radikalisierung der Subjektfrage durch die französische Philosophie der Postmoderne. Deren Kritik richtet sich insbesondere gegen traditionelle Substanz- und Wesensaussagen vom Menschen sowie gegen jegliche Einheits- und Kohärenzmodelle von Identität, welche die menschliche Vielfalt marginalisieren. Letztlich richten sich die Forderungen um Anerkennung von Pluralität, Widerstreit und Differenz von Lyotard, Deleuze und Derrida gegen einen ontologischen Universalismus sowie eine Anthropologie menschlicher Konstanten, die den Humanismus des Westens seit der Aufklärung maßgeblich bestimmt haben. Nicht der „Tod des Subjekts“ ist das Ziel der Kritik, sondern das autonome, bedeutungsstiftende Selbst der transzendentalen Subjekt- und Bewusstseinsphilosophie von Kant bis Husserl. An seine Stelle tritt die Metaerzählung vom soziokulturell dezentrierten, multiplen Subjekt, die heftigste Irritationen auslöste und bis heute mehr Fragen aufwarf, als sie beantworten konnte. Mitverantwortlich für die Geringschätzung postmoderner Subjekttheorien in der Sportwissenschaft ist deren kritische Aufnahme in den Geistes- und Sozialwissenschaften der BRD. Wegbereiter für die überwiegend ablehnende Haltung war die Kritik von Habermas am Postmodernismus, die viele Autoren vorschnell und ohne hinreichende Quellenkenntnis übernahmen. Hinzu kamen viele polemische Äußerungen und anarchistische Provokationen radikaler Postmodernisten, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich erst seit Mitte der 1990er Jahre eine von Vorurteilen gereinigte, sachliche Diskussion über die Ziele, Reichweite und Grenzen postmoderner Theoreme durchsetzen konnte. In der Vergangenheit thematisierte die Soziologie in Deutschland die Individualisierungsthese unter starker Bezugnahme auf die Theorie sozialer Differenzierung. Trotz aller Unterschiede beurteilten Autoren wie Simmel, Durkheim und Luhmann die individuelle Freiheit des Einzelnen als Begleiterscheinung der Ablösung archaisch-familiärer und stratifikatorisch-hierarchischer Gesellschaftsformen der Vormoderne durch die funktional differenzierte Industriegesellschaft der Moderne. Der postmoderne Individualisierungsschub mit beschleunigter Enttraditionalisierung der Sozialformen wird auf diese Weise seiner Sonderstellung enthoben und in den Kontext funktionaler Differenzierung gestellt. Die Kernfrage allen sozialen Wandels seit der Neuzeit aber bleibt: Wie viel Einheit und Integration brauchen – und wie viel Differenz und Widerspruch vertragen Individuum und Gesellschaft. Mit Bezug auf diesen erweiterten Theorierahmen wird zur Beantwortung der Frage einer veränderten Individualität in Sport und Körperkultur das Paradigma der sozialen Differenzierung mit dem postmodernen Theorem einer entsubstanzialisierten, multiplen Persönlichkeit in Beziehung gesetzt. Die Subjektfrage wird hierzu zunächst im Kontext der Moderne und deren Folgen in Turnen und Sport diskutiert. Danach wird sie mit Blick auf die Postmodernisierung von Gesellschaft und Sport thematisiert. Zum Schluss werden die Aussagen zu Sport und Persönlichkeit im Wandel der Zeit zusammengefasst sowie – als Fazit – radikalisierende Extrempositionen zurückgewiesen.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Kampfkunst in China

Kampfkunst in China von Hägele,  Werner
Die ostasiatischen Kampfkünste erlangten in den letzten Jahrzehnten eine enorme Verbreitung in der westlichen Welt. Ausgelöst wurde dieses Phänomen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die um sich greifende Postmodernisierung und Globalisierung der Welt, die Ost und West miteinander verband, wie niemals zuvor. Den ostasiatischen Kampfkünsten kam dabei zugute, dass die 1968er Studentenbewegung und die Flower-Power-Generation der 1970er Jahre in Amerika und Europa bei ihrem Protest gegen das Establishment sowie bei ihrer Suche nach alternativen Lebensformen bevorzugt im süd- und ostasiatischen Kulturkreis fündig wurden. Im Sport des Westens sorgten die gesellschaftlichen Veränderungen seit Ende der 1970er Jahre dafür, dass neben dem traditionellen Leistungs- und Wettkampfsport der postmoderne Trend- und Outdoorsport entstand. Zu den ersten postmodernen Trendsportarten, die sich im Westen etablieren konnten, zählten die japanisch-koreanischen Kampfkünste. Gleichzeitig gelang dem chinesischen Kung Fu durch Bruce Lee der massenmediale Durchbruch. Doch nur den japanisch-koreanischen Kampfkünsten gelang es, sich im Sportsystem des Westens erfolgreich zu behaupten. Hingegen blieben die chinesischen Kampfkünste, trotz ihres hohen medialen Bekanntheitsgrades, im praktischen Übungsbetrieb für ein breites Publikum weitgehend unbekannt. Zurückzuführen ist dies auf die jahrzehntelange politische Isolation der Volksrepublik China unter Mao Zedong. Erst durch die West-Öffnung Chinas durch Deng Xiaoping seit Ende der 1970er Jahre und dem Aufstieg Chinas zur globalen Wirtschaftsmacht nahm auch das Interesse des Westens an den chinesischen Kampfkünsten in Theorie und Praxis merklich zu. Als übergeordnetes Leitmotiv liegt den drei Essays das Bemühen zugrunde, die Bedeutung und historische Dimension der chinesischen Kampfkünste dem Leser näherzubringen. Keine ins Detail gehende Chronologie der chinesischen Kampfkünste wird angestrebt, wohl aber wird deren Entwicklung vom chinesischen Altertum bis zur Neuzeit in groben Zügen umrissen. Im Mittelpunkt der Erörterungen stehen nicht Technik und Taktik in Kampf und Training, sondern die Bestimmung jener soziokulturellen Faktoren, die das Selbstverständnis der chinesischen Kampfkünste jahrhundertelang geprägt haben. Eine Schlüsselposition nehmen hierbei die Lehren von Konfuzius und Laotse sowie der taoistische und Chan-buddhistische Weg der Läuterung ein. Im ersten Essay „Soziokulturelle Einflüsse in den chinesischen Kampfkünsten unter besonderer Berücksichtigung von Schamanismus, Konfuzianismus, Taoismus und Chan-Buddhismus“ wird die vorherrschende Gleichsetzung der Kampfkünste mit dem Weg der Erleuchtung in der japanisch-koreanischen Kampfkunst-Literatur in Frage gestellt. Stattdessen wird die These vertreten, dass der tiefste Urgrund auch der ostasiatischen Kampfkünste in der Bipolarität von gewaltorientiertem Kampf (auf Leben und Tod) und geselligem Kampf (zur bloßen Unterhaltung) liegt. Um- und überlagert wird diese basale Urschicht durch jene philosophischen und religiösen Werte- und Glaubenssysteme, die die Sonderheit in den chinesischen Kampfkünsten bedingen. Die Kerngedanken dieser Philosophien und Religionen werden zunächst allgemeintheoretisch abgehandelt, ehe in einem Zweitschritt ihre Relevanz für die chinesischen Kampfkünste thematisiert wird. Die gewaltbetonte, aggressive Seite in den Kampfkünsten basiert einerseits auf zahllosen Kriegen und Aufständen in der Geschichte Chinas, andererseits auf der Notwendigkeit, sich gegen Räuberbanden verteidigen zu müssen. Daneben gelang es der unterhaltend-geselligen Seite der Kampfkünste, sich frühzeitig in der chinesischen Kultur zu etablieren. Der Einfluss des Schamanismus in den chinesischen Kampfkünsten lässt sich bis zur Shang-Dynastie (16.-11. Jh. v. Chr.) zurückverfolgen. Bereits die Wu-Schamanen kannten offenbar Ansätze der späteren „Formen“ („taolu“). Auch die Tierimitationen können auf sie rückdatiert werden. Viele Mythen und Legenden in China weisen einen wuistisch-magischen Hintergrund auf und wurden ein beliebtes Motiv in den Kampfkunst-Choreographien der Hongkonger Filmindustrie. Die Sitten- und Staatslehre von Konfuzius (um 551-479 v. Chr.) hat wie keine andere politische Theorie die Kultur Chinas geprägt. Ihr Einfluss in den chinesischen Kampfkünsten ist dennoch eher marginal. Dies mag daran liegen, dass das Bildungsideal des edlen Weisen („junzi“) vorwiegend auf die Elite des Landes beschränkt blieb und diese sich im zweiten Jahrtausend den Künsten zuwendete. Hingegen zählten noch bei Konfuzius die praktischen Fertigkeiten, namentlich die Kampfkünste, zum festen Bestandteil seines Erziehungsprogramms. Konträr zum konfuzianischen Kulturalismus vertritt der philosophische Taoismus von Laotse (um 6. Jh. v. Chr.) und Zhuang Zhou (um 4. Jh. v. Chr.) einen Naturalismus, der in der Leere des Tao die Einheit und Vielfalt der Welt begründet sieht. Um diese Leere in sich und allen Dingen wahrnehmen zu können, bedarf es der Hinwendung zu einem einfachen, ungekünstelten Leben. Hingegen ist überall dort, wo soziokulturell vermittelte Geschäftigkeit sowie Egoismus und Sinneslust dominieren, der Weg des Tao verstellt. Daher gelte es, durch weitgehendes Nicht-Handeln („wu-wei“) den Geist und die Gefühle von allen negativen Einflüssen zu befreien. Wie keine andere Lehre prägte der Taoismus die chinesischen Kampfkünste. Oberstes Ziel der vom Taoismus beeinflussten Kampfkünste ist jedoch nicht die geschmeidige Bewegungsperfektion, sondern eine darüber hinausweisende Läuterung zu einem „wahrhaften Menschen“. Der religiöse Taoismus erweiterte das Konzept der natürlich-kosmischen Ordnung des Tao um ein Pantheon an Göttern, Geistern und Dämonen und verbreitete die Hoffnung, dass ein wahrhaft geläuterter Mensch Eingang ins Paradies ewiger Glückseligkeit finden könne. Zur späten Han-Zeit (24-220 n. Chr.) überwog noch der Bezug zur äußeren Alchemie und deren Versuchen, Unsterblichkeit mit Hilfe von Elixieren herstellen zu wollen. Seit der Tang-Dynastie (618-906) setzte sich jedoch die innere Alchemie immer stärker durch und damit das Bestreben, mittels Meditation und der größtmöglichen Aufnahme der Lebenskraft „qi“ wahrhafte Läuterung zu erlangen. Die mystisch-religiöse Durchdringung der Kampfkünste, insbesondere in den militanten Geheimgesellschaften, ging mit magisch-alchemistischen Praktiken und Zauberritualen einher. Andererseits fanden heilkundliche Praktiken wie Akupunktur und Akupressur Aufnahme in den Kampfkünsten. Insbesondere erlangte die Tiefenatmung durch Rückgriff auf die Lebenskraft „qi“ eine herausragende Bedeutung. Dem Chan-Buddhismus, einer Sekte des Mahayanismus, gelang es seit dem 6. Jh. n. Chr. in China Fuß zu fassen. Vom Taoismus übernahm er die Konzeption von der „Leere des Tao“ als dem wahren Sein aller Dinge. Ferner transferierte er Nirvana von einem jenseitig-paradiesischen zu einem diesseitigen, urplötzlich auftretenden Ereignis. Als Geburtsstätte des Chan-Buddhismus sowie der von ihm beeinflussten harten Kampfkünste gilt das Shaolin-Kloster. Berühmt wurde das Kloster durch seine Kampfmönche, die vornehmlich in der Ming-Dynastie (1368-1644) mithalfen, das Land gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen. Danach schwand der Rückhalt des Chan-Buddhismus in der chinesischen Bevölkerung, während er in Japan die Kultur und Kampfkunst der Samurai tief geprägt hat. Im zweiten Essay „Annäherung an die chinesischen Kampfkünste aus westlicher Sicht“ werden nicht, wie in der Fachliteratur sonst üblich, die vermeintlich unüberwindlichen Gegensätze zwischen östlicher Kampfkunst und westlichem Kampfsport herausgestellt. Ausgangspunkt ist vielmehr die These, dass trotz aller Unterschiede Gemeinsamkeiten bestehen, die im Zweikampf als kulturübergreifendem Lebensphänomen begründet sind. Gewöhnlich sorgen in einem Zweikampf kooperativ-mäßigende Strukturelemente dafür, dass er nicht eskaliert. Bei einem ergebnisorientierten Zweikampf nimmt jedoch die Gefahr, dass die assoziativen Elemente durch Dissonanz und destruktives Verhalten be- und verdrängt werden, umso mehr zu, je wichtiger der Sieg für die Akteure wird. Eher Partner denn Gegner sind die Kämpfenden hingegen im Kampfspiel, in dem die Kurzweil und der Spaß der Protagonisten, nebst der in China langen Tradition der Unterhaltung von Zuschauern, das vordringliche Ziel sind. Auch der Zweikampf unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der bio-kulturellen Ko-Evolution. Als Folge des evolutiven Überlebenskampfes der Menschheit mag eine gewisse Disposition für Kampf und Widerstreit ins genetische Inventar unserer Gattung übergegangen sein. Gleichzeitig ist die Rückkopplung der genetischen mit der kulturellen Evolution unaufhebbar. Die Unterschiede zwischen chinesischer Kampfkunst und westlichem Kampfsport liegen hauptsächlich darin, dass die chinesische Kultur über zwei Jahrtausende vorwiegend durch konfuzianische und taoistisch-buddhistische Wertvorstellungen geprägt wurde, die westliche Kultur hingegen primär durch griechisch-römische und jüdisch-christliche Werte. Im Besonderen unterscheiden sich die chinesischen Kampfkünste vom westlichen Kampfsport durch die Imitation von Tierbewegungen sowie dem Rückgriff auf ritualisierte „Formen“. Erklären lässt sich die hohe Wertschätzung der Tierimitationen aus der großen Nähe zwischen Mensch und Tier im Schamanismus, aber auch im Taoismus und Buddhismus. Hingegen wurden die Grundlagen für die „Formen“ spätestens durch die Konfuzianer gelegt, die den ekstatischen Tanz ihrer Vorfahren in einen strengen Formalismus der Bewegungen überführten. Typisch für die chinesischen Kampfkünste sind ferner ihre enge Verbindung mit der Lebenskraft „qi“ und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Basierend auf der Annahme, dass Dysbalancen und Blockaden des „qi“ im Körper zu Krankheit und Tod führen, dienten atemkontrollierte Gymnastikübungen dazu, „qi“-Ungleichgewichte im Körper zu beseitigen. Traditionell weisen die Bewegungen bei diesen Qigong-Übungen nicht nur eine hohe Affinität mit den Bewegungen in den Kampfkünsten auf, vielmehr dienten diese seit alters her auch der Gesundheitsvorsorge. Bezüglich des Anspruchs edler Selbstvervollkommnung in und durch die Kampfkünste weist die konfuzianische Konzeption des „junzi“ die größte Ähnlichkeit mit Wertvorstellungen auf, die im Westen dem olympischen Kampfsport zugeschrieben werden. Konträr hierzu zielt das Vollkommenheitsstreben im philosophischen Taoismus darauf ab, Harmonie und Einklang mit dem Tao als dem Urgrund allen Seins zu erlangen. Auf ähnliche Weise gilt es im Chan-Buddhismus zum nirvanischen Ich in der kosmischen Leere der Buddha-Natur vorzustoßen. Zur Eigenart eines Chinesen zählt auch, dass er trotz des Strebens nach Vollkommenheit eines konfuzianischen „junzi“, taoistischen Weisen oder Chan-buddhistischen Erleuchteten ein pragmatisches Verhältnis zu den Geistern, Göttern und Bodhisattvas unterhält, die er im Volksglauben in großer Zahl vorfindet. Insbesondere in den militanten Geheimgesellschaften und Sekten gingen die Kampfkünste eine enge Verbindung mit der Welt der Geister und Götter ein. Die häufige Überlegenheit des Feindes sowie Restriktionen durch den Staat boten den idealen Nährboden für den Glauben an übernatürliche Mächte, deren Unterstützung im Kampf erhofft wurde. Im dritten Essay „China im Umbruch und die Folgen für die Kampfkünste“ wird die Zeit vom Ende des Kaiserreichs (1911) bis zur Gegenwart thematisiert. Eingeleitet wurde das Ende der Qing-Dynastie (1644-1911) im 19. Jahrhundert durch mehrere verlorene Kriege gegen die europäischen Kolonialisten sowie gegen die Japaner, die im Landesinneren mit zahlreichen politischen Unruhen und Aufständen einhergingen. Durch die Beteiligung vieler Geheimbünde und Freikorps im Kampf teils gegen die Staatsmacht, teils mit ihr gegen die europäischen Eindringlinge, erlangten die Kampfkünste einen großen Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig breitete sich das westliche Sportverständnis im Einzugsbereich der von den Europäern besetzten Küstenstädte allmählich aus. Die republikanische Ära (1912-1949) lässt sich als Richtungskampf konservativer und progressiver Kräfte um das „neue China“ umschreiben. Nach der Machtübernahme durch die Kuomintang-Partei (1928) artete diese Auseinandersetzung zum Bürgerkrieg zwischen Chiang Kai-sheks Nationalisten und den Kommunisten aus, der mit Mao Zedongs Sieg (1949) endete. Die Kampfkünste konnten sich während der Republikzeit noch relativ gut behaupten. Überwiegend betonten sie das beharrende, vergangenheitsorientierte Moment. Dennoch griff die Diskussion um das westliche Sportverständnis auch innerhalb der Kampfkünste um sich. Mit Gründung der Volksrepublik China (1949) vollzog Mao Zedong nach sowjetischem Vorbild die Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft. Insbesondere mit Hilfe der Kulturrevolution (1966-1976) verschärfte er die Verfolgung der bürgerlichen Traditionalisten und Revanchisten. Für die Kampfkünste änderten sich mit der staatlich verordneten Einführung des sowjetischen Sportsystems seit Anfang der 1950er Jahre die sozialen Rahmenbedingungen grundlegend. Fortan breitete sich die westliche Art des Kämpfens flächendeckend über ganz China aus. Trotz der staatlich verordneten Sportausrichtung blieben die traditionellen Kampfkünste jedoch im nicht-organisierten, ländlichen Bereich sowie als Mittel der Gesundheitsvorsorge zumindest bei den Älteren weitgehend erhalten. Konträr zu Mao Zedongs rigorosem Dogmatismus leitete der Pragmatiker Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre eine Modernisierung der chinesischen Gesellschaft ein, indem er die „sozialistische Marktwirtschaft“ einführte sowie die Öffnung Chinas nach Westen vorantrieb. Dadurch gelang es China bis Anfang des 21. Jahrhunderts, zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Die Kampfkünste profitierten von der Reformpolitik Dengs und seiner Nachfolger insbesondere durch deren liberalere Einstellung zu Tradition und Religion, die seit den 1980er Jahren einen massenhaften Zulauf zu Tai Chi Chuan und Qigong auslöste. Im Kampfsport wiederum ermöglichte Dengs West-Öffnung eine Erweiterung des zentralistisch ausgerichteten Sportsystems um nichtstaatliche Elemente der Sportselbstverwaltung. Seit 2013 betreibt Staats- und Parteichef Xi Jinping indes eine Politik der Re-Ideologisierung Chinas, die auch für die traditionellen Kampfkünste und den Kampfsport in China nicht folgenlos bleiben dürfte.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Sportwissenschaftliche Notizen

Sportwissenschaftliche Notizen von Hägele,  Werner
Der erste Beitrag wendet sich der Problematik des postmodernen Wertewandels im Sport zu. Aus historischer Perspektive und mit normativem Anspruch werden die Entwicklungstrends skizziert, die sich im Sport in den letzten Jahrzehnten vollzogen haben. Über die widersprüchliche Beurteilung der postmodernen Veränderungen im Sport der Gegenwart hinaus wird versucht, Aussagen zur Zukunft des Sports zu formulieren. Im zweiten Beitrag werden mit Bezug zum Handlungsfeld des Sports die soziologischen Grundbegriffe sozialer Wert, soziale Norm, soziale Rolle und Sozialisation einer definitorischen Klärung unterzogen. Neben der Zielsetzung, die mutterwissenschaftlichen Basisbegriffe mit Beispielen aus dem Sport zu verdeutlichen, werden darüber hinaus – zumindest implizit – die Verschränkungen und interdependenten Verflechtungen dieser Begriffe unter- und miteinander aufgezeigt. Thema des dritten Beitrags ist das soziale Lernen im Sportunterricht. Veranschaulicht wird zunächst, welches Erkenntnisinteresse hinter diesem Theorieansatz steht. Danach werden seine Schwächen und Vereinseitigungen diskutiert, die mit dazu beitrugen, dass es um die Didaktik sozialen Lernens im Sportunterricht merklich stiller geworden ist. Inwieweit die dargebotenen Korrekturvorschläge jedoch der Kritik durch die “scientific community” standhalten werden, muss sich erst noch erweisen. Im letzten und wichtigsten Beitrag wird die Sportanthropologie einer Standortbestimmung unterzogen. Begründet wird, warum trotz ihres Ganzheitsanspruchs auch die Sportanthropologie die Integration der teildisziplinären Erkenntnisse immer nur partiell leisten kann. Ferner wird erläutert, warum die Sportanthropologie die Leit- und Orientierungsfunktion der Philosophischen Anthropologie relativieren und sich verstärkt dem transdisziplinären Theorienprogramm der modernen Evolutionstheorie zuwenden sollte. Selbst auf die Gefahr hin, naturalistischer Reduktionismen bezichtigt zu werden, werden Anstöße für eine neue Anthropologie des Sports gegeben, die das Evolutionsparadigma als bedeutenden Neuansatz ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses rückt.
Aktualisiert: 2021-10-29
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Reflexionen zur Sportwissenschaft

Reflexionen zur Sportwissenschaft von Hägele,  Werner
Im ersten Kapitel wird dargelegt, welche Kriterien und Handlungsvorgaben die Sportwissenschaft erfüllen muss, um als Wissenschaft im modernen Verständnis Anerkennung und Geltung zu finden. Im zweiten Kapitel wird die Bestimmung des Gegenstandes der Sportwissenschaft vor dem Hintergrund ihrer Einheit und teildisziplinären Differenzierung thematisiert. Offensichtlich gibt es nicht nur ein sportwissenschaftliches Formalobjekt, sondern teildisziplinär je spezifische. Die Frage ist dennoch, ob auch integrativ-ganzheitliche Gegenstandsbestimmungen möglich sind, und wenn ja, wie sich diese realisieren lassen? Anschließend wird erörtert, welche Konstitutionsprinzipien das Materialobjekt der Sportwissenschaft bestimmen. Hierzu wird die Kontroverse zum Begriff des Sports aufgegriffen und über die Offenlegung der Funktion von wissenschaftlichen Begriffen begründet, warum Begriffs-Definitionen vom Sport, trotz der wachsenden Heterogenität und Vieldeutigkeit des lebensweltlichen Phänomens, nicht zum Scheitern verurteilt sein müssen. Von zentralem Interesse ist hierbei die seit Jahrzehnten schwelende Streitfrage, ob das Spiel-Motiv oder Leistung und Sieg den substantiellen Bedeutungskern des Sport-Begriffs bilden. Das dritte Kapitel lenkt die Aufmerksamkeit auf die Normen und Werte des Wissenschaftsethos von MERTON. Dass normative Wertvorgaben nicht vorbehaltlos den Forschungsprozess bestimmen, wird anhand der Problematik von Führerschaft, Reputation, Priorität, Publikation und Zitation aufgezeigt. Daran schließt sich eine Kritik an MERTONs funktionalistischem Wissenschaftsideal an, die sich zum einen auf KUHNs technische Normen einer Paradigmengemeinschaft bezieht, zum anderen auf neuere Laborstudien der konstruktivistisch-relativistischen Wissenschaftssoziologie. Über das Für und Wider dieser Kritik werden Schlussfolgerungen für die Sportwissenschaft gezogen, die darauf hinauslaufen, dass diese stets durch innere und äußere Strukturelemente bestimmt wird. Im vierten Kapitel wird die enge Verbindung des Wissenschaftsethos mit der Verantwortungsproblematik der (Sport-)Wissenschaft thematisiert. Hierzu werden die unterschiedlichen Positionen von a) Werturteilsfreiheitspostulat, b) Ethik der Anwendung sowie c) Verantwortung von Grundlagen- und angewandter Forschung dargestellt, die derzeit die wissenschaftliche Diskussion bestimmen. Daraufhin wird gefragt, welche Grundpositionen sich in der sportwissenschaftlichen Ethik-Diskussion nachweisen lassen. Dabei zeigt sich, dass die Sein-Sollen-Problematik in der Sportwissenschaft erst andiskutiert ist. Daher werden abschließend Thesen zur Wissenschaftsethik formuliert, die zur Verlebendigung der Diskussion beitragen sollen. Im letzten Kapitel wird der langwierige Disput zur Interdisziplinarität der Sportwissenschaft aufgegriffen. Im Gegensatz zum weitverbreiteten Einheitsideal wird versucht zu begründen, warum die Sportwissenschaft keine Integrations-, sondern zuvorderst eine teildisziplinäre Aggregatwissenschaft ist, die dennoch bemüht sein muss, partiell auch interdisziplinäre Wissenschaft zu sein. Hierzu wird die relevante Literatur zur Disziplinarität sowie zur Interdisziplinarität der Wissenschaft herangezogen. Quintessenz der Überlegungen ist ein Strukturmodell für eine zukunftsweisende Sportwissenschaft, das die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihres Selbstbildes abbauen und durch die Offenlegung bestehender Defizite einen Beitrag zur generellen Erhöhung ihres Erkenntnispotentials leisten möchte. In Zusammenfassung und Ausblick wird eine kurze Bilanzierung der Ergebnisse der Arbeit vorgenommen, die durch Hinweise auf die erforderliche Vertiefung der aufgeworfenen Fragestellungen abgerundet wird.
Aktualisiert: 2021-10-29
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Annäherungen an den >post< modernen Sport

Annäherungen an den >post< modernen Sport von Hägele,  Werner
Die Aufsatzsammlung “Annäherungen an den ›post‹modernen Sport” greift mit wechselnden Themenstellungen die strukturellen Veränderungen auf, die seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer nachhaltigen Transformation des traditionellen Erscheinungsbildes von Gesellschaft und Sport geführt haben. Bei aller Differenz weisen die vier Beiträge dennoch – wenn auch unterschiedlich gewichtet – inhaltliche wie formale Gemeinsamkeiten auf. Beitragsübergreifend konzipiert sind sowohl die enge Verzahnung und wechselseitige Abhängigkeit von gesellschaftlicher und sportlicher Entwicklung als auch von modernem und postmodernem Sport. Ferner steht nicht die destruktive Postmoderne mit ihren Schattenseiten im Fokus des Erkenntnisinteresses, sondern ihre anspruchsvolle Variante, die – zumindest implizit – die Frage aufwirft, welche Vorgaben an den Sport der Zukunft zu richten sind, um mehr Hoffnungen als Ängste bei den Menschen zu wecken. Insbesondere wird der Versuch unternommen, das vielschichtige Theorien-Konstrukt der Postmoderne, welches in den 1980er Jahren durch die französische Philosophie nachhaltig geprägt wurde, auf den Gegenstandsbereich des Sports zu übertragen. In Deutschland wurde die gehaltvolle französische Variante des Postmodernismus lange Zeit entweder ignoriert, heftig kritisiert oder fand, wenn überhaupt, verzerrt Beachtung (vgl. Deleuze, 1993, S. 144). Die (später revidierte) Kritik von Habermas (1988) verdeutlicht dies anschaulich, der befürchtete, dass das Projekt der Moderne durch die tendenziell anti- und prämoderne Theorieausrichtung des Postmodernismus (in der Tradition von Nietzsche und Wittgenstein) ernsthaft gefährdet sei. Im Gegenzug warfen viele Postmodernisten ihren (modernistischen) Kritikern vor, sie würden ihre Texte voreingenommen und ohne die erforderliche Sorgfaltspflicht lesen, was die unverhältnismäßige Häufung von Fehldeutungen erkläre (vgl. Reijen & Veerman, 1989, S. 126). Der anhaltende Disput zwischen Modernisten und Postmodernisten hat mittlerweile nicht nur viele Vorurteile abgebaut, sondern auch zur Klärung und Weiterentwicklung der Grundpositionen des Postmodernismus geführt, ohne allerdings die generelle Reserviertheit der Kontrahenten zu beseitigen. In der Sportwissenschaft trug der lange Zeit prekäre Status des französischen Postmodernismus mit dazu bei, dass dessen Erkenntnispotenzial, abgesehen von wenigen Ausnahmen, kaum wahrgenommen wurde. Dieses Defizit zu beseitigen und Verständnis für eine der innovativsten geistigen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte zu wecken, war nicht zuletzt ein grundlegendes Anliegen in allen vier Beiträgen. Im ersten Beitrag “Reflexionen zur Postmoderne und das Schweigen der Sportwissenschaft” rückt die Verständnisfrage ins Zentrum der Ausführungen. Auf der Basis des Erkenntnisgehalts so unterschiedlicher Autoren wie Lyotard, Derrida und Baudrillard wird versucht, den Begriff einer anspruchsvollen Postmoderne zu definieren. Zu dessen herausragenden Merkmalen können insbesondere die fortschreitende Pluralisierung, Ästhetisierung und Medialisierung der gegenwärtig sich konstituierenden Informationsgesellschaft gezählt werden. Um idealisierte Übergeneralisierungen zu vermeiden, dürfen jedoch die den Begriffskern umlagernden dysfunktional-destruktiven Strukturmerkmale der eklektischen Indifferenz, des narzisstischen Ästhetizismus sowie der krebsartig wuchernden Hyperrealisierung nicht außer Acht gelassen werden. Auf diese Merkmale berufen sich insbesondere jene Kritiker des Postmodernismus, die im Extrem dazu tendieren, “posthistoiresche” Katastrophen- und Endzeit-Szenarien zu entwerfen, wie dies Baudrillards Œuvre eindrucksvoll bekundet. In der Anwendung des postmodernen Theoriedesigns auf das materiale Feld des Sports zeigt sich, dass die herkömmlichen Denkmodelle in der Sportwissenschaft zur Überfavorisierung von Integration und Holismus neigen. Hingegen werden Themenstellungen wie Patchwork-Identität, Paralogie oder widerstreitende Gerechtigkeit weitgehend ausgegrenzt. Offenkundig wird, dass ein epochaler Gesellschaftsumbruch mit den Mitteln der Klassiker-Exegese nur unzureichend erschlossen werden kann. Das verstärkte Nachdenken über adäquate Theorie-Modelle ist unverzichtbar. Die Sozialphilosophie der Postmoderne liefert in dieser Hinsicht eine Fülle wertvoller Anregungen. Ihre Stärken liegen in der kritischen Hinterfragung sakrosankter Wahrheiten und ihrem resoluten Eintreten für mehr Freiheit, Glück und Selbstverwirklichung der Menschen. Ihre Schwächen offenbaren sich in ihrem Hang zur Polarisierung und krassen Überfavorisierung von Differenz, Dissens und Kultur bei gleichzeitiger Vernachlässigung, gar Ausklammerung von Einheit, Konsens und Natur in ihrem Theoriedesign. Im zweiten Beitrag “Soziale Differenzierung, Individualität und Sport” wird die Individualisierungsthese zum sozialen Differenzierungstheorem in Beziehung gesetzt: Danach beruht die Individuation der Individuen primär auf der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Hierzu werden die Aussagen von G. Simmel herangezogen, der neben Durkheim zu den frühen Vertretern der Differenzierungstheorie zählt. Für Simmel löste der epochale Wandel von der ständischen Agrargesellschaft zur modernen Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert nicht nur eine fortschreitende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Subsystembildung aus, sondern befreite die Individuen gleichzeitig aus der Enge stratifizierter Korporationen. Für Spiel und Leibesübungen zog dies die allmähliche Herauslösung aus Brauchtum und Kult der Feudalgesellschaft nach sich sowie deren schrittweise Institutionalisierung und Integration in den Turnverein bzw. deutschen Turnerbund. Zur Geltung kam hierbei eine kollektivistische Individualität, die sich stärker durch normative Rollenkonformität, Disziplin und Ordnung auswies als durch den Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung. Erst die Ablösung des formalistisch-nationalistischen Turnsystems durch den olympischen Sport im 20. Jahrhundert mit seiner stärkeren Akzentuierung von individueller Leistung und Wettkampf relativierte das vorherrschende hierarchisch-normative Menschenbild grundlegend. Dennoch blieb im Vereinsleben in (West-) Deutschland bis in die Spätmoderne der 1960er Jahre ein vorwiegend altruistisch ausgerichteter Moralkodex verhaltensrelevant. Erst die wachsende Kritik am überkommenen Traditionalismus in Gesellschaft und Sport löste einen grundlegenden Wertewandel aus. Dieser wurde vorangetrieben durch die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzende Globalisierung, Medialisierung und Enträumlichung der gesellschaftlichen Strukturen. Dadurch wurden jene institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen, welche die reflexive Rollentheorie mit ihrem selbstbestimmten Menschenbild seit jeher forderte. Im Sport schlug sich diese Entwicklung nicht nur in einem erheblichen Größenwachstum nieder, sondern auch in einer nicht unproblematischen Entgrenzung seines durch Turnen (19. Jh.) und Olympismus (20. Jh.) geprägten Selbstverständnisses. Der Individualisierungsschub, den insbesondere die neuen Outdoor- und Trendsportarten auslösten, beförderte den Sportler viel nachdrücklicher zum reflexiven Gestalter seines Verhaltens als jemals zuvor. Ein Irrtum wäre es allerdings anzunehmen, der selbstbestimmte “Sporthopper” wäre weniger anfällig für fremdbestimmte Vermassung und kulturindustrielle Manipulation. Realiter dürfte stets ein Mixed aus beiden Komponenten vorliegen, jeweils abhängig vom sozialen Kontext sowie – nicht zuletzt – der Entscheidungskraft des Einzelnen. Im dritten Beitrag “Nationalität, Weltgesellschaft und Sport” wird die Globalisierungsproblematik thematisiert. Kraft seiner Souveränität und sozialen Ordnungsfunktion oblag es dem Nationalstaat in der Moderne, den gesellschaftlichen Institutionen und korporativen Verbänden den notwendigen Halt und hinreichende Integration zu gewährleisten. Kosmopolitische Visionen wie Kants Völkerbunds-Konzeption erlangten erst Ende des 19. Jahrhunderts konkretere Gestalt, als die Renaissance transnationalen Gedankenguts zur Gründung einer Vielzahl von internationalen Beziehungen führte. Dies erklärt, warum sich im 19. Jahrhundert der philanthropische Kosmopolitismus von Guts Muths gegen die Gemeinschaftsideologie des Jahn’schen Turnens allenfalls bedingt behaupten konnte. Hinzu kommt, dass sich die Turnerschaft als Teil einer Nationalbewegung verstand, die ihr Selbstverständnis überwiegend aus der Treue zu Volk und Vaterland ableitete. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich der Internationalismus des Sports – gegen den anfänglich heftigen Widerstand der deutschen Turnerschaft – immer stärker durch und transportierte mit Coubertins Olympismus ein liberaleres, selbstbestimmteres Menschenbild, das allmählich die Oberhand gewann. Bis in die Spätmoderne der 1960er Jahre finden sich dennoch viele Spuren der nationalistischen Turnbewegung, wie etwa die hohe Wertschätzung der Deutschen für Nationalmannschaft und Ländervergleichswettkämpfe. Eine weltweite, massenmediale Kommunikation konnte sich erst in der Postmoderne durchsetzen, als mit Handy, Computer und Internet die erforderliche Technologie zur Verfügung stand. Erst diese technologischen Errungenschaften ermöglichten die sprunghafte Zunahme globaler Sozialkontakte auf Kosten lokaler und nationaler Verbindungen. Verfechter einer transnationalen Weltgesellschaft beurteilen die gegenwärtigen Entnationalisierungstendenzen indessen nicht als strukturelle Auflösung, sondern als Neudefinition nationalstaatlicher Kompetenzen unter globalen Vorzeichen. Extrem monistischen Weltstaats-Entwürfen stellen sie das Glokalisations-Theorem gegenüber, das die unaufhebbare Dialektik von weltlicher Konvergenz und lokaler Differenz ausdrücklich bejaht. Der Wachstumsschub, den der postmoderne Sport erfuhr, schlug sich zum einen in der Transnationalisierung seiner Verbände sowie der weltweiten medialen Präsenz seiner Großveranstaltungen (insbesondere der Olympischen Spiele) nieder. Zum anderen erlangte er innerhalb weniger Jahrzehnte den Status einer Weltkultur, deren Normen, Werte und Symbole über alle nationalen Grenzen hinweg von Milliarden Menschen geteilt werden. Gleichzeitig wuchs die Gefahr der Hegemonialisierung des Weltsports durch die Dominanz des westlich-agonalen Sportverständnisses. Auf lokaler Ebene des Sports wiederum wurde der Einfluss des Nationalismus durch die wachsende Bedeutung des professionellen Vereins- und Ligasports merklich zurückgedrängt, was sich an der zunehmend multikulturellen Rekrutierung der Spieler, Trainer und Manager unschwer ablesen lässt. Dennoch ist die Bedeutung von Nation und Nationalmannschaft bei sportlichen Großveranstaltungen nach wie vor ungebrochen. Höchst fragwürdig ist daher, ob und inwieweit der globale Weltsport künftig seine kosmopolitischen Visionen nachdrücklicher wird umsetzen können als in der Vergangenheit. Gegenwärtig scheint eher zuzutreffen, dass die seit seinen Anfängen viel beschworene humanitäre Leitidee der Würdigung der Person des Athleten über alle nationalen und sonstigen Gegensätze hinweg im Medaillen-Ranking der Nationen zu ersticken droht. Im vierten und letzten Beitrag “Leichtathletik im Schulsport der Postmoderne” werden aus der Perspektive einer Sportart jene Probleme aufgegriffen, die der postmoderne Wertewandel in Schule und Schulsport ausgelöst hat. Dem Trend zur Profilierung und stärkeren Autonomisierung des Schulsystems konnte sich die Schulleichtathletik ebenso wenig entziehen wie dem Ruf nach stärkerer Akzentuierung von erziehendem Unterricht und wertebesetzter Bildung. Doch erst die nachlassende Beliebtheit und wachsende Konkurrenz durch die boomenden Trend- und Erlebnissportarten sowie die anhaltende Kritik an der traditionell einseitigen Hervorhebung von Wettkampf, objektiver Leistung und normierten Techniken bewirkten in den 1990er Jahren eine grundlegende Revision ihres Selbstverständnisses. Inwieweit die Öffnung der Schulleichtathletik für mehr Spiel, Vielfalt und Schülerorientierung jedoch tatsächlich eine hoffnungsvolle Zukunft verspricht, wird anhand gegenwärtiger Trends diskutiert. Und es werden Hypothesen formuliert, wie eine wünschenswerte Zukunft aussehen könnte. Auch wenn die Schulleichtathletik in der Vergangenheit vorwiegend einem sportartimmanenten Erziehungsmodell verpflichtet war, muss sie künftig an der Institution Schule ihre unaufhebbare Interdependenz mit dem pädagogischen Erziehungs- und Bildungsauftrag stärker als bisher zur Kenntnis nehmen. Trotz Aufwertung von Spiel, Erlebnis und Kurzweil darf dies nicht zur Verteuflung von Leistung, Arbeitsmoral und Wetteifer führen, vielmehr kann sie durch die Bejahung eines intrinsisch motivierten Leistungsverständnisses ihren Teil zur Förderung einer positiven Leistungskultur in Schule und Schulsport beitragen. Die kritische Auseinandersetzung mit der glitzernden Show- und Medienwelt der “großen Leichtathletik” ist hierzu unerlässlich. Angesichts der krankmachenden Entkörperlichung unserer Kinder scheint die Förderung einer “kleinen Leichtathletik” immer dringlicher zu werden, die – im Verbund mit Turnen und Schwimmen – die elementare Grundmotorik des Laufens, Werfens und Springens vermittelt. Die Überwindung der einseitigen Leistungs- und Wettkampforientierung zugunsten der Mehrdimensionalität ihrer Strukturen ist daher keineswegs abwegig, sondern kann zumindest bedingt mithelfen, die körperlichen Defizite unserer Kinder zu kompensieren. Zwar läuft die unkontrollierte Bejahung von Pluralität und Vielfalt in der Postmoderne stets Gefahr, in Beliebigkeit und Indifferenz auszuarten. Sofern die Schulleichtathletik jedoch bereit ist, alle Neuerungen hinsichtlich ihrer Identitäts- und Systemverträglichkeit einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, lässt sich eine systemgefährdende Diffusion durchaus vermeiden. Trendsetter des neuen, poppigeren, bunteren und lockeren Sports sind jedoch nicht Schule und Sportverein, sondern der jugendliche Straßen- und Szenensport. Keineswegs abwegig ist daher die Überlegung, ob künftig nicht Versatzstücke des außerschulischen Szenensports in die Schulleichtathletik integriert werden sollten. Nicht “fit for fun” darf hierbei die oberste Maxime sein, sondern die produktive Balance von spontanem Spaßerlebnis und anspruchsvollem Üben und Trainieren. Hinzu kommt, dass weniger normative Sozialformen und Rollenbilder den Alltag des postmodernen Sports bestimmen, als vielmehr die individuelle Wahl- und Bastelmentalität seiner Protagonisten. Ohne einem grenzenlosen Liberalismus zu verfallen sollte die Schulleichtathletik daher mehr offene, spontane und reflexive Didaktikelemente in ihren Unterricht einfließen lassen. Nicht zuletzt bedürfen zukunftsweisende Schulkonzepte auch der tatkräftigen Mitwirkung durch die universitäre Leichtathletik, die ihr Selbstverständnis nicht länger nur aus einer theoriearmen Praxisausbildung, sondern verstärkt aus fachwissenschaftlichen Themenstellungen beziehen sollte. Literatur Deleuze, G. (1993): Unterhandlungen. 1972-1990. Frankfurt/M. Habermas, J. (1988): Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Welsch, W. (Hrsg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim, S. 177-192. Reijen, W. van & Veerman, D. (1989): Die Aufklärung, das Erhabene, Philosophie, Ästhetik. Interview mit Jean-François Lyotard. In: Reese-Schäfer, W.: Lyotard zur Einführung. Hamburg, S. 111-159.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Individualisierung und Körperkultur in nationaler Moderne und globaler Postmoderne

Individualisierung und Körperkultur in nationaler Moderne und globaler Postmoderne von Hägele,  Werner
Die Individualisierungsthese wird in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert. Basis des Disputs ist, welche Konsequenzen aus der anhaltenden Herauslösung der Individuen aus den traditionellen Sozialbeziehungen zu ziehen sind. Generell fristet der Einzelne in Familie, sozialer Klasse und Nation nicht länger ein alternativloses Dasein, sondern ist für sein Leben in wachsendem Maße selbst verantwortlich. Die Befürworter dieser Entwicklung begrüßen die Zunahme an individueller Wahlfreiheit auf Kosten sozialer Gängelung. Hingegen beklagen ihre Gegner einen Kult des Individualismus und wenden sich vehement gegen die Gefahren der Entsolidarisierung und des Eigennutzes. Der Pluralisierung der Lebensstile begegnen sie mit einer Zerfallsdiagnose des Sozialen, während ihre Kontrahenten hoffen, dass die Individuen ihre Chance ergreifen werden und als Baumeister ihrer eigenen Biographie auftreten. Eingebettet ist die Individualisierungsthese in die Thematik des gesellschaftlichen Umbruchs und der Ablösung der modernen Arbeits- und Industriegesellschaft durch die postmoderne Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Mehr noch, Individualisierung und Postmoderne bedingen sich gegenseitig. Daher ist das Aufzeigen des soziokulturellen Epochenwandels für deren tieferes Verständnis unverzichtbar. Zwar lassen sich erhebliche begriffliche und inhaltliche Differenzen nachweisen, dennoch besticht die relative Konvergenz der Zeit- und Gesellschaftsanalysen so unterschiedlicher Autoren wie Bell, Touraine, Inglehart, Beck, Giddens, Schulze und Lyotard. Mitte der 1980er Jahre erzwangen die Auswirkungen des allgemeinen Wertewandels eine sportwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der wachsenden Individualisierung, Pluralisierung und Binnendifferenzierung des Sports. Maßgeblichen Anteil an diesen Reflexionsanalysen hatten Digel, Rittner sowie der DSB-Kongress „Menschen im Sport 2000“. Als Träger des neuen Sportverständnisses erwiesen sich jedoch nicht der Vereins- und Verbandssport, sondern Fitnessstudios, alternative Sportgruppen sowie die generelle Renaissance von Körper, Fitness und Ästhetik. Der organisierte Sport, von den Ereignissen eher mitgerissen denn Leitfigur der Bewegung, folgte schließlich dem allgemeinen Trend einer Postmodernisierung der Gesellschaft durch vielfältige Assimilationen seines traditionellen Selbstbildes. Kaum thematisiert wurde in der Sportwissenschaft bislang die Radikalisierung der Subjektfrage durch die französische Philosophie der Postmoderne. Deren Kritik richtet sich insbesondere gegen traditionelle Substanz- und Wesensaussagen vom Menschen sowie gegen jegliche Einheits- und Kohärenzmodelle von Identität, welche die menschliche Vielfalt marginalisieren. Letztlich richten sich die Forderungen um Anerkennung von Pluralität, Widerstreit und Differenz von Lyotard, Deleuze und Derrida gegen einen ontologischen Universalismus sowie eine Anthropologie menschlicher Konstanten, die den Humanismus des Westens seit der Aufklärung maßgeblich bestimmt haben. Nicht der „Tod des Subjekts“ ist das Ziel der Kritik, sondern das autonome, bedeutungsstiftende Selbst der transzendentalen Subjekt- und Bewusstseinsphilosophie von Kant bis Husserl. An seine Stelle tritt die Metaerzählung vom soziokulturell dezentrierten, multiplen Subjekt, die heftigste Irritationen auslöste und bis heute mehr Fragen aufwarf, als sie beantworten konnte. Mitverantwortlich für die Geringschätzung postmoderner Subjekttheorien in der Sportwissenschaft ist deren kritische Aufnahme in den Geistes- und Sozialwissenschaften der BRD. Wegbereiter für die überwiegend ablehnende Haltung war die Kritik von Habermas am Postmodernismus, die viele Autoren vorschnell und ohne hinreichende Quellenkenntnis übernahmen. Hinzu kamen viele polemische Äußerungen und anarchistische Provokationen radikaler Postmodernisten, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich erst seit Mitte der 1990er Jahre eine von Vorurteilen gereinigte, sachliche Diskussion über die Ziele, Reichweite und Grenzen postmoderner Theoreme durchsetzen konnte. In der Vergangenheit thematisierte die Soziologie in Deutschland die Individualisierungsthese unter starker Bezugnahme auf die Theorie sozialer Differenzierung. Trotz aller Unterschiede beurteilten Autoren wie Simmel, Durkheim und Luhmann die individuelle Freiheit des Einzelnen als Begleiterscheinung der Ablösung archaisch-familiärer und stratifikatorisch-hierarchischer Gesellschaftsformen der Vormoderne durch die funktional differenzierte Industriegesellschaft der Moderne. Der postmoderne Individualisierungsschub mit beschleunigter Enttraditionalisierung der Sozialformen wird auf diese Weise seiner Sonderstellung enthoben und in den Kontext funktionaler Differenzierung gestellt. Die Kernfrage allen sozialen Wandels seit der Neuzeit aber bleibt: Wie viel Einheit und Integration brauchen – und wie viel Differenz und Widerspruch vertragen Individuum und Gesellschaft. Mit Bezug auf diesen erweiterten Theorierahmen wird zur Beantwortung der Frage einer veränderten Individualität in Sport und Körperkultur das Paradigma der sozialen Differenzierung mit dem postmodernen Theorem einer entsubstanzialisierten, multiplen Persönlichkeit in Beziehung gesetzt. Die Subjektfrage wird hierzu zunächst im Kontext der Moderne und deren Folgen in Turnen und Sport diskutiert. Danach wird sie mit Blick auf die Postmodernisierung von Gesellschaft und Sport thematisiert. Zum Schluss werden die Aussagen zu Sport und Persönlichkeit im Wandel der Zeit zusammengefasst sowie – als Fazit – radikalisierende Extrempositionen zurückgewiesen.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Konstitutionsprinzipien von Spiel und Sport

Konstitutionsprinzipien von Spiel und Sport von Hägele,  Werner
Im ersten Kapitel wird die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Problemstellung verdeutlicht. Im zweiten Kapitel werden die konstitutiven Merkmale der Lebenswelt herausgearbeitet, in die Spiel und Sport eingebettet sind. Im dritten Kapitel folgt eine ausführliche Erörterung der inneren Strukturprinzipien und Wesensmerkmale von Spiel und Sport, während im vierten Kapitel deren Wechselbeziehung mit anderen Subsystemen der Gesellschaft dargelegt wird. Als heuristisches Hilfsmittel zum besseren Verständnis der gewonnenen Erkenntnisse dient am Schluss der Arbeit die Konstruktion eines Drei-Ebenen-Modells, dem die dialektische Verschränkung der inneren und äußeren Strukturelemente von Spiel und Sport zugrunde liegt.
Aktualisiert: 2021-10-29
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