Zeitschrift für Semiotik / Kommunikation, Inferentialismus und Semiotik von Debus,  Stephan, Harendarski,  Ulf, Posner,  Roland, Reichold,  Anne

Zeitschrift für Semiotik / Kommunikation, Inferentialismus und Semiotik

Robert B. Brandoms "Expressive Vernunft"

Aus dem Inhalt

Ulf Harendarski: Zum Zeichenbegriff in Brandoms Expressiver Vernunft

Summary. This is an article on Robert B. Brandom’s philosophical and linguistic pragmatism as expressed in his Making It Explicit asking whether it can be connected to linguistic semiotics thus contributing to more general semiotics. For this reason the essay shall elaborate on Brandom’s underlying but rather implicit communication model which – according to critics – consists of circular argumentation. The reproach of Brandom’s critics is that language can not be learned without a preset of mental concepts missing in Brandom’s inferentialism, which is merely based on proposition, assertion, reason and (non-mental) concept. Finally, this essay ends with the idea that a further step in theory is needed to analyse linguistic attributions of intentionality without attributing a propositional core at the same time.

Zusammenfassung. Der philosophisch-linguistische Pragmatismus der Expressiven Vernunft Robert B. Brandoms wird skizziert, auf seine Anschlussfähigkeit zu semiotischen Fragestellungen untersucht und die offenkundige Möglichkeit geprüft, ihn als Beitrag zu einer allgemeinen Semiotik zu verstehen. Dafür wird das von Brandom gesetzte, aber nicht eigens festgelegte Kommunikationsmodell herausgearbeitet und schließlich der Ansatz mit einem Zirkelvorwurf konfrontiert. Denn Sprache lasse sich nicht – so die Kritik – ohne vorausgesetzte mentale Konzepte erlernen, auf die Brandoms auf Proposition, Behauptung, Urteil und Begriff gestützter Inferentialismus aber verzichte. Schließlich wird im letzten Abschnitt die Idee der Intentionalitätszuschreibung aufgenommen und so erweitert, dass das Modell auch sprachliche Attribuierungen von Intentionalität erlaubt, die keinen propositionalen Kern enthalten oder die keinen solchen artikulieren.

Anne Reichold: What is it like to be a discursive being? Perspektivität und Ich-du-Sozialität bei Robert Brandom

Summary. In this article it is argued that Brandom’s conception of linguistic practice in terms of an I-thou-sociality not only articulates a normative and social, but also an embodied conception of persons. Though Brandom focuses on the normative and social character of linguistic practice and its agents, in the article it is shown that linguistic practice in Brandom’s normative terms of commitment and entitlement involves a spatiotemporal distinction between agents or persons that is not made explicit by Brandom. Spatio-temporal individuation of persons thus is not conceptualized as prior, or independent to linguistic practice and ascription of normative status, but it is a genuine feature of linguistic activity. The conception of I-thou-sociality that articulates a symmetrical pattern of communicative action, as well as Brandom’s inferential account of objectivity in terms of de dicto and de re contexts, involve reference to spatio-temporal categories to distinguish persons and contexts from one another. Thus Brandom’s account of I-thou-sociality articulates not only the concept of linguistic persons as genuinely social and normative beings but, within this normative practice, also as embodied beings located, and locating themselves, in a spatio-temporal environment.

Zusammenfassung. Im vorliegenden Beitrag soll gezeigt werden, dass mit der perspektivischen Konstruktion linguistischer Praxis als Ich-du-Sozialität bei Brandom zugleich eine raumzeitliche Konzeption diskursiver Personen artikuliert wird. Brandom selbst konzentriert sich bei der Explikation des Selbstverständnisses diskursiver Wesen vor allem auf die Sozialität und Perspektivität diskursiver Praxis. Im vorliegenden Beitrag soll der Fokus der Analyse im Ausgang von der Ich-du-Sozialität auf das in der diskursiven Praxis vorausgesetzte und pragmatisch in Anspruch genommene raumzeitliche Bezugssystem gelegt werden. Es wird gezeigt, wie die genuin inferentiellen Zuschreibungen assertorischer Sprechakte, das Einfordern und Geben von Gründen und der Ausdruck normativer Einstellungen auf raumzeitliche Kategorien zurückgreifen bzw. in raumzeitlich lokalisierte Kontexte eingebunden sind. In einer Analyse von Brandoms perspektivischer Konzeption der Ich-du-Sozialität, seiner Kritik an einer Ich-wir-Sozialität sowie seiner Konzeption begrifflicher Objektivität als Einstellungstranszendenz wird herausgearbeitet, inwiefern Brandom ein raumzeitliches Bezugssystem voraussetzt, in das alle Teilnehmer eingebettet sind und das in der wechselseitigen Zuweisung und Adressierung normativer Status in Anspruch genommen wird. Die raumzeitliche Individuation von Personen oder Adressaten erfolgt dabei weder vorgängig noch unabhängig von den Relationen des Gebens und Forderns von Gründen, sondern sie ist genuiner Bestandteil der kontextsensitiven Auslotung adäquater Zuschreibungen und Beurteilungen von Festlegungen. Der perspektivische Ansatz der Ich-du-Sozialität beinhaltet demnach eine Konzeption von Personen, die sich in der Kommunikation und im Verstehen immer auch raumzeitlich orientieren, unterscheiden und lokalisieren.

Matthias Kiesselbach: Zwischen Analytischem Pragmatismus und Quietismus. Brandom und McDowell über die Rolle der Philosophie

Summary. This article examines the meta-philosophical rift which runs through the Pittsburgh School of contemporary philosophy. The rift is a disagreement about the appropriateness and likelihood of success of the kind of attempt at philosophical explanation in which implicitly mastered conceptual practices are reconstructed by way of combining simple and easily surveyable practical rules. While for Robert Brandom, such explanations can yield a genuinely better understanding of the target practice or vocabulary, and are thus an appropriate instrument for analytical philosophy, John McDowell considers them symptomatic of a wholly mistaken view of discursive practice, and takes their failure to be inevitable. According to McDowell, the futility of (“linear”) philosophical reconstructions is due to the holistic structure of linguistic competence and hence intentionality itself: distinct concrete conceptual practices presuppose each other in holistic (and hence circular) ways. This article defends Brandom’s thesis of the compatibility of the holism cited by McDowell on the one hand, and the possibility of philosophical explanation on the other, using a concrete example of a successful reconstruction which could be described as “linear” in McDowell’s sense. Finally, two possible answers in support of McDowell’s scepticism are discussed with a view to establishing room for a continuation of the debate.

Zusammenfassung. Dieser Artikel untersucht den meta-philosophischen Graben, der sich durch die P i t t s b u r g h e r S c h u l e der zeitgenössischen Philosophie zieht. Es handelt sich dabei um eine Meinungsverschiedenheit über die Angemessenheit und Erfolgsaussichten philosophischer Erläuterungsversuche, in denen begriffliche Praktiken, welche wir nur implizit beherrschen, durch die Kombination einfacher und einfach zu überblickender praktischer Regeln nachkonstruiert werden. Während solche philosophischen Rekonstruktionen für Robert Brandom zu einem besseren Verständnis der relevanten Begriffe bzw. Vokabulare führen und damit ein taugliches Mittel für die analytische Philosophie sein können, hält John McDowell sie für Symptome eines fehlerhaften Verständnisses diskursiver Praxis und ihr Scheitern für unvermeidbar. Nach McDowell liegt die Aussichtslosigkeit („linearer“) philosophischer Rekonstruktionen im Holismus der Sprachkompetenz und der Intentionalität begründet: Zwischen konkreten begrifflichen Fähigkeiten gibt es holistische (und damit letztlich zirkuläre) Voraussetzungsverhältnisse. Dieser Artikel verteidigt Brandoms These der Kompatibilität zwischen dem von McDowell zitierten Holismus und der Möglichkeit philosophischer Rekonstruktionen mit einem konkreten Beispiel einer glückenden Rekonstruktion, welche in einer zentralen Hinsicht als „linear“ bezeichnet werden könnte. Schließlich werden zwei mögliche Antworten McDowells skizziert, aus denen sich Raum für eine Fortführung der Debatte ergeben könnte.

Bernd Prien: Robert Brandoms Inferentialismus und das Problem der Kommunikation

Summary. It is generally acknowledged that proponents of a holistic inferentialism face the question of how linguistic communication is possible because their thesis seems to commit them to the view that claims have different meanings for different speakers. In his book Making It Explicit (MIE), Brandom defends a holistic inferentialism and he also concedes that his theory faces the problem of communication just mentioned. In the first part of my contribution, I will offer an account of how exactly this problem arises in the context of Brandom’s theory of propositional content. Following that, I will reconstruct Brandom’s answer to this problem in part two of my paper. With regard to this answer, however, Daniel Whiting has argued in his article Meaning Holism and De Re Ascription that it contains a gap. In the third part of my paper, I will briefly discuss the nature of the gap in Brandom’s answer and propose a way in which this gap could be filled within the theoretical context of MIE.

Zusammenfassung. Es ist allgemein anerkannt, dass sich für Vertreter des holistischen Inferentialismus die Frage stellt, wie sprachliche Kommunikation möglich ist. Diese These führt nämlich anscheinend unausweichlich dazu, dass Behauptungen für verschiedene Sprecher verschiedene Bedeutungen haben. In seinem Buch Expressive Vernunft (EV) vertritt Brandom einen solchen Inferentialismus und gibt auch zu, dass sich das Problem der Kommunikation für seine Theorie stellt. Im ersten Teil meines Beitrags möchte ich genauer erläutern, wie sich dieses Problem im Rahmen von Brandoms Theorie propositionalen Gehalts darstellt, bevor ich im zweiten Teil Brandoms Antwort darauf vorstelle. Bezüglich dieser Antwort hat allerdings Daniel Whiting in seinem Aufsatz Meaning Holism and De Re Ascription gezeigt, dass sie eine Lücke aufweist. Im dritten Teil dieses Aufsatzes stelle ich kurz dar, worin diese Lücke besteht, und schlage eine Ergänzung zu Brandoms Antwort vor, die man im theoretischen Rahmen von EV vornehmen könnte.

Elena Tatievskaya: Gätschenberger über das „Gegebene“ und Carnaps Aufbau

Summary. In his Aufbau, Carnap argues against Gätschenberger’s claim that a pure language of the “given” is impossible. Carnap understands the given as an object, and cognition as the process of constructing further objects out of the given. The notion of the given is essential for Gätschenberger’s theory of semiotics which he formulates as an alternative to the traditional critique of knowledge. Gätschenberger holds the given, in the sense of every particular experience, to be a natural symbol that posits some object, which is identifiable by the effects of this experience, and in particular by the actions induced by it. Due to ist symbolic character, the given can refer to every realm of objects and therefore play a fundamental role in cognition. Gätschenberger believes that this character of the given is displayed in particular in ist demonstrative function with respect to systems of propositions which represent knowledge. I argue that this assumption is problematic, and that Gätschenberger’s own treatment of the given as a symbol does not support it. Carnap’s concept of the given can be considered as a solution to this and some other problems of Gätschenberger’s theory.

Zusammenfassung. In seinem Aufbau kritisiert Carnap Gätschenbergers Vorstellung von der Unmöglichkeit einer reinen Sprache des „Gegebenen“. Für Carnap ist das Gegebene ein Gegenstand und die Erkenntnis die Konstruktion („Konstitution“) der Gegenstände aus dem Gegebenen. Der Begriff des Gegebenen ist entscheidend auch für die als Alternative zur traditionellen Erkenntniskritik formulierte semiotische Theorie Gätschenbergers. Gätschenberger betrachtet das Gegebene oder jedes einzelne Erlebnis als natürliches Symbol, das einen Gegenstand setzt. Der Gegenstand kann durch die Wirkungen des Erlebnisses und insbesondere Handlungen, die das Erlebnis auslöst, identifiziert werden. Das Gegebene kann sich dank seiner symbolischen Natur auf jeden möglichen Gegenstandsbereich beziehen und fungiert als Fundament der Erkenntnis. Gätschenberger glaubt, dass sich diese Eigenschaften des Gegebenen vor allem in dessen „demonstrierender“ Funktion in Bezug auf Satzsysteme zeigen. Ich behaupte, dass diese Annahme problematisch ist und dass Gätschenbergers Auffassung des Gegebenen als Symbol sie nicht rechtfertigt. Carnaps Begriff des Gegebenen kann als eine Lösung dieses und einiger anderer Probleme der Theorie Gätschenbergers angesehen werden.

Axel Müller: Löst Brandoms Inferentialismus bedeutungsholistische Kommunikationsprobleme?

Summary. This article analyzes whether Brandom’s ISA (inferential-substitutional-anaphoric) semantics as presented in Making It Explicit (MIE) and Articulating Reasons (AR) can cope with problems resulting from inferentialism’s near-implied meaning holism. Inferentialism and meaning holism entail a radically perspectival conception of content as significance for an individual speaker. Since thereby ist basis is fixed as idiolects, holistic inferentialism engenders a communication problem. Brandom considers the systematic difference in information among individuals as the „point“ of communication and thus doesn’t want to diminish these effects of inferentialism. Instead, explains communication with a model of “navigating among perspectives without sharing contents”. The crucial element in this navigation-model is the functioning of anaphoric connections between tokens uttered in discourse that can be used by every individual speaker in their own perspectival semantic substitution-economies. The heart of Brandom’s semantics is the thesis of the purely inferential, hence non-referential nature of anaphora, coupled with the claim that anaphoric-inferential semantic mechanisms yield sufficient conditions for mutually successful “information-extraction” or interpretation. This article disputes the thesis and denies the claim. Regarding the former it is observed that all of Brandom’s plausible reconstructions of anaphoric discourse-structures rely on covert “reference-infiltrations” that can’t be eliminated. Regarding the latter, a new argument based on context-sensitive semantic phenomena in anaphoric settings shows that the crucial distinction between initiator or anaphoric antecedent and anaphoric dependent cannot be drawn according to Brandom’s own premises without overt and irreducible referential premises. The article concludes that either Brandom’s semantics can offer determinate contents, but then must accept genuinely referential semantic primitives, or else it leaves utterance-contents undeterminable and hence cannot explain communication.

Zusammenfassung. Dieser Beitrag untersucht, inwieweit Brandoms in Making It Explicit (MIE) und Articulating Reasons (AR) entwickelte inferentialistische Semantik Probleme lösen kann, die sich aus dem im Inferentialismus unter relativ unkontroversen Zusatzannahmen entstehenden und von Brandom bewusst zugrundegelegten Bedeutungsholismus ergeben. Aus dem Inferentialismus folgt mit Bedeutungsholismus eine perspektivische Bestimmung sprachlichen Gehalts, die wegen der damit angenommenen Idiolektbasis ein Kommunikationsproblem erzeugt. Brandom betrachtet dieses systematische Informationsgefälle als natürliche Motivation zur Kommunikation. Er erklärt Kommunikation mittels eines Modells des „Navigierens zwischen Perspektiven“, das letztlich auf der Verfügbarkeit substitutioneller und anaphorischer Äußerungsverknüpfungen beruht. Semantisch entscheidend ist die These, dass anaphorische Ketten rein inferentieller, also referenzfrei semantisch bestimmter Natur sind, sowie die Behauptung, dass anaphorisch-inferentielle Mittel zu gegenseitig erfolgreicher „Informationsextraktion“ oder „Interpretation“ hinreichen. In diesem Aufsatz wird die These bestritten. Erstens lassen sich in Brandoms plausiblen Darstellungen anaphorischer Kommunikationsstrukturen systematische „Referenzinfiltrationen“ nachweisen. Dass dies die Behauptung unterminiert zeigt sich zweitens an einer Analyse der Durchführbarkeit einer semantisch entscheidenden inneranaphorischen Unterscheidung (zwischen Initiator und Glied) im Rahmen kontextsensitiver Ausdrucksformen. Brandoms Semantik kann entweder für Sprecher und Hörer bestimmbare Gehalte annehmen, muss aber dann irreduzibel referenzielle semantische Normen unterstellen, oder aber sie lässt Gehalte systematisch unbestimmbar.

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