…und täglich einen Engel

Zwischen 2006 und 2010 wanderte ich in vier Etappen Richtung Santiago de Compostela. Dabei wurde ich auf zwei Etappen von Freundinnen und Familie begleitet, zwei weitere bewältigte ich allein. Die Wanderung auf dem Jakobsweg ist eine Herausforderung, doch die Gastfreundschaft der Spanier und die Begegnungen auf dem Weg entschädigen für die Schmerzen und den Muskelkater.
Der Camino del Norte ist facettenreich. Beschauliche Dörfer wechseln sich ab mit den Industrievororten einiger Großstädte, schneebedeckte Berge mit unendlich erscheinenden Stränden.
Dabei verlief die Route für mich nicht nur auf dem Küstenweg, ich wanderte ebenso auf dem Camino Liebana zum Kloster Santo Toribio und weiter durch die Picos de Europa zum Kloster Covadonga. Die Ruta de la Reconquista brachte mich dabei nicht nur an meine physische Grenze, sondern auch an die psychische. Doch die Kraft, die der Weg von mir forderte, gab er mir um ein Vielfaches zurück.
Ich übernachtete im Dunst schnarchender Mitpilger in überfüllten Jugend- und Pilgerherbergen, in kargen Kloster-Zellen, in ehemaligen Gefängnissen und mutterseelenallein in einer Sporthalle mitten im Nirgendwo. Ich glaubte zwar fest daran, dass an jeder Ecke ein versteckter Engel wartete, um mir und meinen Begleiterinnen beizustehen, sollte es Probleme geben, doch es gab durchaus auch düstere Momente. Ist man beim Pilgern in Begleitung anderer, erlebt man den Weg zwar nicht so intensiv, aber man kann sich untereinander austauschen. Pilgert man allein, nimmt man die Eindrücke viel stärker wahr, hat aber niemanden, den einen tröstet, wenn die Einsamkeit um sich greift.
Viele Begegnungen auf dem Weg waren wahre Bereicherungen für mein Leben und ich begegnete jemandem, den ich gut zu kennen glaubte und von dessen Verhalten ich doch überrascht wurde: mir selbst!
Und schließlich stand ich schließlich im Heiligen Jahr 2010 vor der großen Kathedrale in Santiago de Compostela und konnte sagen:
Ich habe es geschafft.