STEFAN WEWERKA schlagartige veraenderung von Eisold,  Norbert, Fischer,  Volker, Hubert,  Saskia, Pohlmann,  Norbert

STEFAN WEWERKA schlagartige veraenderung

“Ähnlich wie bei diesen Möbeln hatte Wewerka bereits seit Anfang der 1960er-Jahre in seinen Möbelskulpturen immer wieder die Macht der Gewohnheit in Frage gestellt. In der Kunstszene der Zeit diskutierte man sogenannte Readymades (Daniel Spoerri, Arman, Jean Tinguely, Robert Rauschenberg). Diese verdankten den Dadaisten, Marcel Duchamp, René Magritte und Francis Picabia viel. Auch Wewerkas Stuhlskulpturen erinnern an dadaistische Verfahren. In einer dekonstruktiven Operation zersägt und zerschneidet er vorgefundene Objekte, um sie danach neu und anders zusammenzusetzen: verzerrt, verformt, verbogen und verschoben. Aus alten Küchenstühlen sägt er mal eine Ecke, mal amputiert er ihnen Beine, mal halbiert oder teilt er sie. Er sagt: „Das Zerschneiden wurde mein Inbegriff von Radikalität.“

Neben Stühlen und Tischen zerschnitt Wewerka Münzen und Schallplatten, Fahnen, Uhren oder Fotoapparate: Verfremdung als Bewusstseinsstrategie, um die durch tausendfache Gewöhnung gewissermaßen zubetonierte Wahrnehmung erneut zu sensibilisieren. Dekonstruktion als Aufklärung, Rekonstruktion als doppelbödige, komisch-ironische Außerkraftsetzung der Rechtwinkligkeit des Alltags. Auch komplette Ensembles wie sein Abendmahl (1971/72) oder das Kinderzimmer Ludwig van (1969) – entstanden für einen Film von Maurizio Kagel – kennzeichnet der rationale Aberwitz der Wewerka‘schen Schräglagen. Selbst die Welt als Ganzes gerät ihm in den verzerrenden, verschobenen Blick. So notierte er 1962 in Paris die folgende Idee:

„Leider wird es ein Projekt bleiben: die Erdkugel halbieren, beide Hälften gegeneinander verdrehen und wieder zusammenkleben. Accra würde dann ein Vorort von London sein, und der Niger würde in die Nordsee münden, und in London würde es verdammt heiß werden, oder umgekehrt, kalt in Accra; es ist schwierig, das Richtige vorauszusehen. Die restliche Westseite der Britischen Inseln würde einen neuen Standort in der Nähe des Nordpols haben, und die Engländer würden dann noch frostiger werden, und Paris läge dicht beim Äquator, und überhaupt würde sich alles schlagartig verändern.“

Die Infragestellung des rechten Winkels und der Statuarik, der Achsialität und der konventionalisierten Formen charakterisiert auch Wewerkas graphisches Werk. In Radierungen und Lithographien, Aquarellen und Zeichnungen geraten historische Architekturen, Stühle, aber auch Aktenkoffer und Telefonzellen, Briefmarken und Postkarten in Schieflage. Aus Rechtecken werden schräge Parallelogramme, Kathedralen werden zerschnitten, ja geschreddert und neu zusammengesetzt. Triumphbögen schmelzen zu amorphen Formen. Es gibt Zitter- und Zerrstühle, verzerrte, geknickte, deformierte Landkörper, Köpfe, Bäume und Tiere. Die Welt als Ganzes und ihre Erscheinungen werden brüchig, hybrid, sie werden in Frage gestellt, hinterfragt, relativiert. Dieses dekonstruktive grafische Nachdenken über die Pragmatik des bloß Rationalen ist vor allem Hinweis darauf, dass die Vernunft, die Zweckrationalität immer auch etwas Totalitäres hat. In der französischen Studentenrevolution hieß das: „Unter dem Pflaster liegt der Strand“. Auch Francis Picabia mag einem in den Sinn kommen: „Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann“.

Ohne seine Objektskulpturen, Objektgrafiken und -zeichnungen, ohne manche seiner Bauten sind Stefan Wewerkas pragmatische Möbel kaum denkbar. Die „Denkmöbel“ seiner Objektskulpturen sind die Voraussetzung für die konzeptionelle und konstruktive Qualität seiner „Nutzmöbel“. In den frühen 1980er-Jahren entstanden für das deutsche Unternehmen Tecta zwei Dutzend Möbel – Tische und Schreibtische, Stühle und Sofas, Schränke, Bänke und Leuchten Beistelltische und Aschenbecher –, die sofort internatio-nal Furore machten. Der Fächerschreibtisch M1, die asymmetrischen Sessel und Sofas, die Schränke und Bänke mit 130°-Winkeln, die sich kommunikativ zum Raum hin öffnen, aber eben auch eine bergende Charakteristik haben, belegten, dass Wewerka Wohnmobiliar als Geborgenheit vermittelnde „Herzen des Hauses“ versteht, als kommunikative Zentren, die – so etwa die Tische – die archaischen Herdstellen ersetzen sollten und können.” (aus: Volker Fischer, Charisma und Chuzpe – Stefan Wewerkas verschobene Welten)

Die Publikation entstand im Rahmen der beabsichtigten Bewerbung Magdeburgs als Kulturhauotstadt Europas aus Anlass der Ausstellung „STEFAN WEWERKA schlagartige veraenderung“, 01.11.2013-31.01.2014 im Forum Gestaltung, Magdeburg.

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