Prodomo von Redaktion Prodomo

Prodomo

Ausgabe 21

Editorial

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

in nicht-revolutionären Zeiten besteht die einzig sinnvolle Form von Praxis in der Arbeit am Begriff, der das Abzuschaffende darstellen soll. Die materialistische Kritik unterscheidet sich darin von der Theorie, dass sie nicht behauptet, das Vorliegende sei ein in sich vernünftiges System, sondern als Bedingung jeder Form von Anschauung die Erfahrung voraussetzt, dass die herrschende Gesellschaftsform für die in ihr lebenden Individuen nicht Glück, sondern Leiden, nicht Freiheit, sondern Zwang bedeutet.

Mit dieser Erfahrung ansetzend wird Kritik zum Mittel der Zersetzung, ihre Form ist nicht der konstruktive Dialog, der verbessern, sondern die Polemik, die zerstören will. Im Bewusstsein, dass die Herrschaft nicht abgeschafft werden kann, ohne einen kollektiven Akt ins Werk zu setzen, bei dem sich die Individuen zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte verwandeln, muss die Kritik darauf abzielen, die zur zweiten Natur verfestigte Ideologie der Warensubjekte zu erschüttern. Nur wenn die Kritik ihren Gegenstand trifft, kann sie die Notwendigkeit der kommunistischen Umwälzung aufzeigen: Menschen dort „abzuholen“, wo sie stehen, kann also nur dazu führen, notwendig falsches Bewusstsein zu bestätigen – Propaganda statt Kritik.

Mit der Prodomo – Zeitschrift in eigener Sache wollen wir einen Beitrag zur materialistischen Gesellschaftskritik leisten, um uns aus dem Zustand der Ohnmacht zu befreien. Diese Zeitschrift wird „in eigener Sache“ produziert, weil Arbeitszwang, repressive Gleichheit, die Perspektive der Armut und die entfesselte Gewalt des zum Wahn gesteigerten kapitalistischen Fetischismus uns auch ganz direkt und persönlich bedroht.

Wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder ohne Angst verschieden sein kann: als Individuum und nicht als Exemplar einer Rasse, eines Volkes oder einer Klasse. Aus diesem Grund insistieren wir auf der wichtigsten Errungenschaft der Aufklärung: dem Individuum. Gegen die bürgerliche Gesellschaft, welche die Aufklärung hervorgebracht hat, machen wir geltend, dass sich in ihr die eigenen Versprechen nicht verwirklichen lassen, weil sie anstatt der persönlichen abstrakte Herrschaft hervorgebracht hat, weil in ihr die Befreiung von Stamm und Sippe notwendig in den Zwang durch Familie und Nation umschlägt.

Doch spätestens die Shoah drängte dem Kritiker die Erkenntnis auf, dass es etwas Schlimmeres gibt als den Kapitalismus: einen Anti-Kapitalismus, der sich zwar nicht von den Bedingungen der warenproduzierenden Gesellschaft – Wert und Souveränität – zu lösen vermag, aber die aus der gesellschaftlichen Dynamik des Kapitals resultierende Vermittlung auszurotten droht. In Gestalt des Nationalsozialismus ist eine Bewegung angetreten, die „Einheit des Ganzen“ (Scheit) wiederherzustellen, die Krise durch Vernichtung zu bändigen. Deshalb gilt es, sowohl den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Nationalsozialismus als auch deren Differenz zu betonen: so wenig der Nationalsozialismus sich mit der Kritik der politischen Ökonomie auf den Begriff bringen lässt, so wenig kann auch die Fortexistenz des Kapitalismus analysiert werden, wenn der Nationalsozialismus ausgeklammert bleibt. Der Aufstieg des radikalen Islam als modernisierte Form des Nationalsozialismus macht deutlich, dass der alliierte Sieg über die Deutschen keineswegs dafür gesorgt hat, dass Verhältnisse eingetreten sind, in denen Auschwitz sich nicht wiederholen kann. Im Gegenteil: angesichts des weltweiten Krieges gegen Israel ist die Gefahr einer solchen Widerholung akut.

Die Notwendigkeit der Forderung nach einer Überwindung der falschen Gesellschaft darf niemals dazu führen, sich der Parteilichkeit zu entziehen. Der Kritiker hat den Widerspruch auszuhalten, einerseits gegen das falsche Ganze und andererseits gegen das Falsche im Ganzen streiten zu müssen. Entzöge er sich dieser Parteilichkeit, er wäre kein Kritiker mehr, sondern Idealist: die Erfahrung des Leids würde ihn nicht mehr tangieren, sondern müsste verdrängt werden, um die Einheit seines abstrakten Gedankensystems nicht zu gefährden. So wenig es ein „richtiges Leben im Falschen“ (Adorno) gibt, so notwendig ist der Einwand, dass die erste Unmenschlichkeit in der Weigerung erkennbar wird, das Leid seines Nächsten wahrzunehmen.

Wir hoffen, dass wir ganz in diesem Sinne unsere Kritik vorantreiben können und wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre der Prodomo – Zeitschrift hoffentlich auch in Ihrer eigenen Sache.

Redaktion Prodomo,
Köln, Oktober 2005

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