Sagenbuch der Lausitz von Haupt,  Karl, Osterwald,  Georg

Sagenbuch der Lausitz

Ortssagen von Baruth über Bautzen... Görlitz... Hoyerswerda... Kamenz... Reichenbach... Vetschau... Wittichenau... bis Zweka

Jede Sage ist mehr oder weniger lokal gebunden, während Mythos und Märchen heimatlos, wie das Volkslied, über die Lande vagabundieren.
Die Sage wandert wohl auch, und manchmal recht wunderbar weit, aber immer doch hat sie die Tendenz, ihre Existenz an einem Ort anzuknüpfen und Heimatrecht zu erwerben. Sagen sind die Vögel, die man nicht eher zu Schuss bekommt, als bis sie sich irgendwo niedergelassen haben. So ist der Glaube an Berg- und Wassergeister sicherlich schon mit den ersten Bewohnern der Lausitz hier eingewandert. Aber zur Sage hat sich ja Mythos erst dann gestaltet, wenn das Geistergefolge sich in seinen ihm zusagenden Wohnungen einquartiert hatte. Und dann geht es den Geistern der Sage wie die Menschen: sie nehmen nach und nach die Natur des Landes an in dem sie hausen, und wie der Neger im Norden bleicht, so verliert der Zwerg von seiner gebirgischen Natur, wenn er, in die Ebene verpflanzt, sich mit kümmerlichen Hügelwohnungen behelfen muss.
Abgesehen aber von dieser landschaftlichen und örtlichen Abhängigkeit der Sage im Allgemeinen, gibt es eine Menge Sagen, die an eine gegebene Örtlichkeit nicht nur anknüpft, sondern aus ihr herausgewachsen und durchaus unverpflanzbar sind. Wer erinnerte sich nicht eines schwarzen Winkels im lieben Vaterhaus, indem er als Kind im Finstern ungern vorüberging? Wie in jedem Haus so gibt es in jeder Stadt und in jedem Dorf einen oder mehrere unheimliche Winkel. Eine gewisse Seite der Kirche, eine dunkle Ecke des Kirchhofs, ein altes Gemach im Schloss, ein verfallenes Gewölbe im Pfarrhaus, wo es nicht geheuer ist, gibt es fast überall. Unter einem alten Kloster mutmaßt man stets unterirdische Gänge. Wie der Engländer Boz in seinen Romanen leblose Geräte gespenstisch belebt und lange Geschichten erzählen lässt , so macht es nun auch das Volk mit solchen unheimlichen Stellen, indem es Geschichten, die irgendwo und irgendwie sich ereignet haben mögen, nach solche Orten verlegt und sie mit den lokalen Schauer gekleidet . Es sind die Felsschluchten um Marklissa und Messersdorf von lauter schauerlichen Sagen belebt. So kann man aus dem Ortssagen der Sechsstädte recht wohl die äußere Physiognomie derselben herauslesen.
Näher schon dem engeren Begriff der Ortssage stehen jene Gespenstergeschichten, die sich an den Ort heften, wo wirklich in alter Zeit ein schreckliches Ereignis stattgefunden hat. Denn die Seelen der Erschlagenen, ja auch der eines natürlichen aber auch nur eines plötzlichen Todes Gestorbenen, finden nach dem Glauben des Volkes keine Ruhe im Grab, sondern sind an die Stelle gebannt, wo sie ohne Beichte und Abendmahl „in ihren Sündenblüte“ dahingerafft wurden.
Die eigentliche, echte Ortssage endlich, die hier gemeint ist, entsteht dort, wo ein Ereignis durch ein sichtbares Denkmal verewigt ist, welches nun den festen Stamm bildet, an dem sich die Erzählung durch Jahrhunderte hindurch mit größerer oder geringere Treue fortrankt. Jede Stadt hat eine Anzahl solcher Denkmäler und Erzählungen, die mitunter geschichtliche, fast immer wenigstens kulturgeschichtliche Bedeutung haben und ein geistiges Gemeingut und einen Anhaltpunkt für das historische Gemeindebewusstsein bilden.
Eine andere Gruppe von Ortssagen entsteht aus dem Bestreben des Volkes, etwas ihm Auffallendes und Fremdartiges zu erklären. An einem Haus, an einem Pfeiler der Kirche ist ein Steinbild, das seinen Ursprung vielleicht nur der Laune des Baumeister verdankt. An diesem übt nun das Volk seine Fantasie und erfindet zu sein Erklärung mitunter die wunderlichsten, oft auch recht hübsche humoristische Erzählungen. Auch diese haben oft einen beachtlichen kulturgeschichtliche Kern. Ähnlich macht es das Volk mit auffallenden, ihm unverständlichen Ortsnamen, wobei oft die lächerlichsten Wortspielereien zum Vorschein kommen. Andere Ursprungssagen haben dagegen einen mythologischen Charakter und liefern zuweilen beachtenswerte Nachträge zu den Göttersagen.
Eine besondere Art poetischer Lokaltradition bilden die Schwänke, wobei es herauskommt, dass das kleine Städtchen Weißenberg das Schilda oder Krähwinkel der Lausitz ist. Daran schließen Sie Spottverse und Sprüche an, womit die Städte sich gegenseitig beehren, ferner die Wahrzeichen, welche mittelalterlichen Handwerksgebrauch eine große Rolle spielten, endlich eigentümliche Rechtsgebräuche, in denen sich der symbolisierende Geist des Mittelalters ausspricht . Von den Volksfesten, welche zur Charakteristik des mittelalterlichen Städtelebens gehören, aber keine eigentlichen Sagen sind, habe ich nur zwei mythologische bedeutsame (Wie die Budissiner den Papst verbrennen; Das Semperlaufen der Budissiner Frauen) und ein historisch wichtiges (Das Gubener Weinfest) herausgegriffen, erstere zugleich als Proben meines noch unedidierten „Festkalenders der Lausitz“.
Viele Sagen bewegen sich um hervorragende, für die Geschichte eines Ortes bedeutsame Personen. Da ist denn gar interessant, wie manchmal mit wenigen, augenscheinlich sagenhafte Zügen das Volk eine historische Person oder doch sein Verhältnis zu derselben auf das treffendste charakterisiert, so dass auch hier die poetische Wahrheit und Gerechtigkeit der Volkssage ins schönste Licht tritt.
Der Natur der Ortssage nach war es nicht zu vermeiden, dass einzelne Sagen zu antiquarischen Notizen zusammenschrumpften, andere dagegen in fast novellistischer Weise sich zu Stadt- und Dorfgeschichten erweiterten.
Karl Haupt

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