Jeanne Mammen, Rimbaud-Übertragungen von Glasmeier,  Michael, Lütgens,  Annelie, Mammen,  Jeanne, Rimbaud,  Arthur

Jeanne Mammen, Rimbaud-Übertragungen

Illuminationen und Fragmente

Die Künstlerin Jeanne Mammen publizierte in allen wichtigen Magazinen der Zeit ihre Illustrationen, konnte davon leben, hatte Erfolg und war Teil einer vielschichtigen urbanen Avantgarde, die sich in Kabaretts, Bars, Cafés und Galerien traf. Die Machtergreifung der Faschisten 1933 muss für sie ein unvorstellbar brutaler Schnitt gewesenen sein, in dem die verrohte Dumpfheit den funkelnden Esprits ausknipste. Vielleicht war es gerade Mammens versierte Fähigkeit zur stillen Lektüre, zum Studium, zum Rückzug, die sie befähigte auszuharren.

Es ist ausgerechnet der Zivilisationsexilant Arthur Rimbaud, in dessen aufrührerisches Werk Mammen sich nachdrücklich vertieft, ein schmales Werk, geschaffen in wenigen jugendlichen Jahren, das zugleich den höchsten Punkt dichterischer Freiheit, unreglementierten Lebenswillens und genereller Formdestruktion markiert. Es übersteigt die Poesie eines Charles Baudelaire, Comte de Lautréamont, Stéphane Mallarmé oder Paul Verlaine in Unberechenbarkeit, Leidenschaftlichkeit und sprachlicher Kraft.

Mammen kommt das »Ereignis Rimbaud« in ihrem selbst gewählten Exil offensichtlich gerade recht. Und so sitzt sie zwischen den sorgsam arrangierten Erinnerungs-, Natur- und Kunststücken, den Farbtöpfen, Bildern und Zeichnungen allein an ihrem Tisch und beginnt mit der Übertragung des Radikalsten des Autors, mit Une Saison en Enfer (1873), Eine Jahreszeit in der Hölle.

Sicherlich lässt sich solch eine Übersetzungsübung in dieser Situation auch rein symbolisch verstehen, das wäre naheliegend. Doch wird mit der Lektüre schnell deutlich, dass Rimbauds zerklüftete, unreine Textgebilde zwischen vulgärer Prosa und erhabensten poetischen Ausbrüchen, zwischen ästhetischem Programm und bitterstem Selbstbekenntnis in seiner komplexen Widersprüchlichkeit zwischen »Energie und Elend« letztlich über Resignation hinausweisen. Schon die Tat der Übersetzungsarbeit selbst verkörpert den Aufstand wie für Rimbaud das Schreiben. »Alle Ungeduld, das Drängen, die Enttäuschung, die Bitterkeit, alles, was Rimbauds ›Hölle‹ bevölkerte, erkennt er nun als die Sehnsucht und Angst des Lebens selbst.« Auch sollte nicht vergessen werden, dass gerade in diesem Zyklus des »großen Geächteten« das Politische nicht nur zwischen den Zeilen zu suchen ist.

Mammens Übertragung ist wie ihre Kunst unpathetisch, von Alltagssprache und Jargon durchsetzt. Sie will ihren Rimbaud ungekünstelt, nahe der emotionalen Ehrlichkeit und Bildwirklichkeit, die dieser Dichter verbreitet. Sie liebt es, die Endsilben der Verben in Berliner Schnoddrigkeit zu verschlucken, um dann wieder entlegene, kuriose Worte zu nutzen, die eine poetische Fremdheit bis hin zum Unverständnis verstärken. Sie arbeitet auch hier unabhängig und findet einen eigenen Ton. Insgesamt ist das Vorhaben sensationell, zumal im 20. Jahrhundert eher eine männliche Domäne in Übersetzung und Interpretation Rimbauds ausgeprägt ist. Auch gibt es eigentlich kaum (keine?) bildenden Künstlerinnen und Künstler, die Lyrik übertragen, Lyrik verfassen (seit Michelangelo) schon.

Leider haben sich ihre Exerzitien zu Une Saison en Enfer nur in wenigen Fragmenten erhalten. So fehlt jene Passage,? in der Künstler und Poeten jenseits eines Paragone in ihrer Liebe zum Unspektakulären und Nichterhabenen zusammenkommen: »Ich liebte einfältige Zeichnungen, die Gesimse über den Türen, Bühnendekorationen, die Zelte der Gaukler, Wirtshausschilder, bunte Bilder für das Volk; die aus der Mode gekommene Literatur, das Latein der Kirche, erotische Bücher mit fehlerhafter Rechtschreibung, die Romane unserer Großväter, Feenmärchen, Büchlein?für Kinder, alte Opern, harmlose Kinderreime, naive Melodien.« Solche Ästhetik einer Subversion, die schon in der Romantik zu glimmen beginnt und aus deren Geist sich die künstlerische Moderne von Surrealismus, Dadaismus bis Fluxus, Pop und weiter nähren wird, dürfte nicht allein der Illustratorin Mammen gefallen haben, sondern auch der Sammlerin und selbstverständlich der Künstlerin. Rimbaud, der 1872 in London zusammen mit Verlaine nicht von ungefähr durch Felix Régamy unterstützt wurde, dem Karikaturisten, Mitglied der Künstlervereinigung von Gustav Courbet und Flüchtling nach dem Zusammenbruch der Commune in Paris, formuliert hier eine »Liebe«, die den kreativen Denkraum für die Zukunft der Künste grundlegend beeindrucken sollte. Der schon immer an Bild-Text-Phänomenen interessierte Michel Butor weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Rimbauds Bildkosmos der illustrierten Bücher und Zeitschriften, der Postkarten und Fotografien, deren Faszination sich im Schreiben des Dichters spiegelt. Entsprechend sind dessen sprachliche Bildschöpfungen kaum klassizistisch, erhaben oder bildungsbürgerlich zu nennen. Sie besitzen den räudigen Charme eines Magazindrucks.
(Michael Glasmeier)

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