Harmonik, Form, poetischer Inhalt
Untersuchungen zu Sonaten der Liszt-Schüler Reubke, Draeseke und Viole
Jürgen Banholzer, Peter Schwägerl, Dagmar Schwitzke
ZUSAMMENFASSUNG
Die vorliegende Arbeit untersucht vier Sonaten von drei Komponisten, die während Liszts
erster Weimarer Zeit (1848-1861) seine Schüler waren: Klaviersonaten von Viole (1855),
Reubke (1857) und Draeseke (1862/3; 1866/67) sowie die Orgelsonate Reubkes (1857).
Die Einleitung referiert die Ergebnisse umfangreicher Vorarbeiten zu Liszts Schülerkreis
sowie Resultate einer ersten Durchsicht vieler handschriftlicher und gedruckter Sonaten
des interessierenden Personenkreises und die Begründung der Auswahl der vier Sonaten
als zusammengehörigen Gegenstand der Arbeit.
Der erste Hauptteil der Arbeit erarbeitet Voraussetzungen möglicher Analysen
neudeutscher Instrumentalmusik und klärt in zwei Themenkomplexen die ästhetischen
und musikalisch-technischen Voraussetzungen für die im zweiten und dritten Hauptteil
durchgeführten Analysen. Der erste Themenkomplex (Voraussetzungen möglicher
Analysen neudeutscher Instrumentalmusik) entwickelt am zeitgenössischen Schrifttum
vier Formkonzeptionen, die in den Manifesten der Neudeutschen mitunter gegeneinander
ausgespielt werden, aber in der kompositorischen Praxis und in Draesekes Analysen der
Symphonischen Dichtungen Liszts sich als miteinander vereinbare, unterschiedliche
Facetten der Formgestaltung erweisen. Der zweite Themenkomplex (Ideen zu einer
neudeutschen Theorie fortschrittlicher Harmonik) entwickelt die Grundlagen der
harmonischen Spezialanalysen im zweiten Hauptteil der Arbeit. Diese Diskussion setzt bei
einer 1860/61 zwischen einigen der neudeutschen Protagonisten und ihren Gegnern
ausgetragenen Kontroverse um die neusten Entwicklungen auf harmonischem Gebiet an
und erarbeitet durch Auswertung von Quellen bis etwa zum Ersten Weltkrieg einen
Verständnishorizont für die in der Kontroverse erörterten Themen.
Der zweite Hauptteil führt auf dieser Grundlage Spezialanalysen zur harmonischen
Sprache der vier Sonaten durch. Die Analysen weisen nach, wo und wie die in der
Kontroverse oder anderwärts diskutierten avantgardistischen Techniken zum Einsatz
kommen. Hierdurch kann vielfach nachvollzogen werden, was auf die damaligen Ohren
schockierend wirkte und wie damals gehört wurde. Es erweist sich auch, welchen Wert die
von den Neudeutschen vorgetragenen revolutionierenden Theorieansätze für die Analyse
tatsächlich gewinnen können.
Der dritte Hauptteil untersucht die individuellen Formkonzeptionen der vier Sonaten und
weist das je unterschiedliche Ineinandergreifen architektonischer, organischer, poetisch
bedingter und individueller Formgestaltung in diesen Werken nach. Die Erkenntnis der
zugrundeliegenden harmonischen Prozesse erweist sich als fundamental für die hier zu
gewinnenden Erkenntnisse.