Du weißt doch gar nichts
Carina Arndt
Weil es nicht egal ist, wer deine Eltern sind und in welches Haus du hineingeboren wurdest.
Wer, außer mir, entscheidet wie mein Leben verläuft. Mit 6 Jahren besuchte ich das erste Mal den schwarzen Raum. Ein Ort tief in meiner Seele, welcher mir half, die massiven Übergriffe an mir zu überstehen.
Diese Reihe von Erinnerungen ist tief in mir verankert, denn es ist alles in uns gespeichert. Vom Stiefvater mit 6 Jahren zum ersten Mal schwer misshandelt, von der Mutter mit 15 Jahren vor die Tür gesetzt, doch mit 17 fing die Hölle erst richtig an.
Misshandlungen, Missbrauch und Vergewaltigungen von einem Mann aus Zuhälterkreisen brachten mich jedoch nicht von einem „normalen“ Lebensweg ab. Oft blickte ich in Wege der Gewalt, Kriminalität und der Armut. Es lag aber immer an mir mich umzudrehen und einen anderen Weg zu finden.
Ob ich schreie, weiß ich nicht. Ich gehe zu Boden, sogleich fasst er mich an einem Bein und zieht mich irgendwie in die Höhe, um weiter zuschlagen zu können. Er hört nicht mehr auf. Bitte, er soll aufhören. Der Raum, in dem wir uns befinden verschwindet, ich selbst verschwinde in einem schwarzen Raum. Kein Licht, kein Geräusch, kein Geruch, kein Gefühl. Hier ist nichts. Hier bin ich sicher.
Der Schmerz ist schlimmer, wenn man weiß, was gleich passiert. Jeder der sich schon einmal tief geschnitten hat weiß, dass der tiefe Schnitt zuerst gar nicht schmerzt, sondern eher erst nur brennt, der Schmerz kommt erst später. Wenn man aber weiß, ich nehme jetzt ein Messer in die Hand und schneide mir bewusst tief in die Haut, sieht die Sache anders aus. Bei Folter durch die Peitsche werden die Bestraften noch heute dazu aufgefordert mitzuzählen. Auch das ist jetzt dem ähnlich, was mir gerade passiert. Ich weiß, wie lange er brauchen wird, bis er fertig ist, und in dieser Situation der Vergewaltigung dauert es eine Ewigkeit. Als er endlich fertig ist, sagt er: „Das war der erste Teil der Geschichte.“
„Sie haben gesagt, Sie können sich nicht erinnern.“, erklärt mir der Arzt. „Oh das!“, sage ich, „Das ist immer, wenn es eskaliert.“ „Ja, das haben Sie schon gesagt, aber erklären Sie mir, was genau Sie damit meinen.“, fordert er mich auf und ich erzähle ihm von den Misshandlungen, dem schwarzen Raum, davon, wie alles verschwindet und ich mich nicht mehr daran erinnern kann. „Selektive Amnesie?“ stellt er fragend in den Raum.
