Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern von Radlmaier,  Steffen

Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern

Man kann sich fragen, ob es sich lohnt, einige Monate lang für eine Million Dollar pro Woche 3000 Leute zu beschäftigen, darunter die klügsten Köpfe der Welt, nur um sich die Verteidigungsreden von ein paar Männern anzuhören, die die Welt längst schuldig gesprochen hat. Als ich in den Ruinen von Nürnberg spazierenging und hier und da mit Deutschen und alliierten Soldaten sprach, fühlte ich, wie sich auch der letzte Zweifel, ob der Prozeß wirklich notwendig sei, zerstreute. Die deutsche Haltung des Mannes von der Straße drückt Johannes Zwilling, 33, ehemaliger Soldat und Schlosser aus: ‚Geschieht ihnen recht, ihretwegen habe ich beide Beine verloren.‘ Er knirscht mit den Zähnen und stößt Verwünschungen gegen die Nazi-Führer aus. Seine Beine sind ihm 1942 in Rußland abgefroren, und jetzt ist er ein mittelloser Krüppel. Natürlich haßt er die Nazis, weil sie den Krieg verloren, nicht, weil sie ihn begonnen haben. Carl Weinstock, 56, ein kürzlich aus dem Konzentrationslager befreiter Jude: ‚Warum erschießen sie die nicht einfach und lassen’s damit gut sein ?‘ Er erinnert daran, daß er selbst ja auch ohne Verfahren eingesperrt wurde. Elsa Krohne, 48, eine grobgebaute, typische deutsche Hausfrau: ‚Was soll das ganze Getue? Prozeß, welcher Prozeß? Oh, diese Nazis! Natürlich sind sie schuldig. Schauen Sie sich nur den Schlamassel an, den sie uns beschert haben. Sie haben uns den Himmel auf Erden versprochen und brachten uns statt dessen die Hölle. Aber warum stellen sie die Generäle vor Gericht ? Das sind gute Männer, feine Offiziere, sie taten ihr Bestes und führten nur Befehle aus. Meinen Sie nicht auch?‘ ‚Haste ’nen Kaugummi, Kamerad?‘ fragen ein paar Bengel, die wie alle Kinder glücklicherweise nur den Kampf um Süßigkeiten und Kippen im Kopf hatten. Ein gutgekleideter, intelligent aussehender 39jähriger Mann, ein Lehrer, der vor kurzem aus einem Kriegsgefangenenlager entlassen worden ist: ‚Natürlich müssen sie bestraft werden. Das Gerichtsprotokoll muß veröffentlicht werden. Ich bin gespannt, ihre Aussagen zu hören. Am Ende werden wir wissen, wieviel Schuld die Nazis an den Kriegsverbrechen tragen und wieviel diejenigen, die sie finanzierten. Wenn all das geklärt ist, dann werdet ihr Alliierten, da bin ich mir sicher, dem deutschen Volk helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Ich hoffe, es ist bald vorbei. Wir brauchen nämlich so dringend Essen und Kohle.‘ Daß sie am Ende immer auf ihre belanglosen persönlichen Bedürfnisse zurückkommen, ist nur natürlich, denke ich, aber im Hinblick auf die Zukunft gefährlich. Ich erinnere mich an die Worte von Richter Robert Jackson: ‚Wir müssen den Deutschen klarmachen, daß das Vergehen, dessentwegen man ihre ehemaligen Führer vor Gericht stellt, nicht darin besteht, daß sie den Krieg verloren haben, sondern darin, daß sie ihn begonnen haben.‘ Es ist äußerst schwierig, dies dem gewöhnlichen Deutschen, selbst wenn er ein Nazi-Gegner ist, begreiflich zu machen. Vielleicht gelingt es ja dem Prozeß. Die Deutschen und vielleicht auch der Rest der Welt haben vergessen, daß im Kellogg-Pakt aus dem Jahre 1929 der Krieg zwischen Nationen, nicht nur für verabscheuungswürdig, sondern auch für illegal erklärt wurde. Deshalb ist dieser Prozeß, der sich auf internationales Recht gemäß der Charta der Vereinten Nationen und volle Rückendeckung durch die weltweite Öffentlichkeit berufen kann, das beste Mittel, um die Hauptverantwortlichen für die aktuelle Misere in der Welt zur! Rechenschaft zu ziehen. Ich habe Professor Lauterpacht getroffen, den Berater der britischen Delegation für internationales Recht und eine der bedeutendsten Autoritäten auf diesem Gebiet. Er hat den Irrtum korrigiert, daß Individuen, die nur Befehle von Vorgesetzten ausgeführt haben, nicht wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden könnten. Diese äußerst wichtige Information werden die Deutschen aber nur dann wirklich begreifen, wenn sie in einem fairen Prozeß verhandelt wird. Toronto Star, 19. November 1945

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